Mein Coming-out
Brief an meine Frau:
Es gibt da etwas über mich, das ich Dir sagen muss. Es wird sehr schwer sein, weil es etwas ist, wo rüber wir nie gesprochen haben. Ich habe Angst. Ich selbst glaube nicht, dass dies etwas schlechtes ist, aber ich weiß nicht, wie andere über mich denken werden, wenn sie davon erfahren. Wenn ich Dir davon erzähle, dann hoffe ich, den Weg für vieles frei zu machen. Behalte ich das Geheimnis für mich, dann habe ich ein Geheimnis so lange wir zusammen sind. Ich weiß, dass die Schuldgefühle, die Angst und die Energie, das Geheimnis zu hüten, sehr viel Stress in jegliche Beziehung bringt. Du solltest wissen und Du hast ein Recht es zu wissen. Wenn ich Dir von mir erzählen möchte, dann aus dem Grund, um unsere Liebe und Freundschaft zu festigen und zu vertiefen. Wir konnten uns bis jetzt so vieles in einer nicht verurteilenden Art sagen. Ich glaube, ich kann mich Dir anvertrauen. Natürlich sind wir mehr als nur Freunde. Wir haben auch eine sexuelle Beziehung. Ich habe Angst, dass dies Deinen Blick verändert im Hinblick auf Deine sexuelle Wahrnehmung für mich. Es wäre toll, wenn dies ein Thema werden könnte, über das wir uns von Zeit zu Zeit unterhalten könnten. Ich weiß nicht, wie Du reagierst, aber wie auch immer, wir können über alles reden, was Du möchtest. Ich werde Dir soweit Antwort geben, wie ich es selbst verstehe. Zugegeben, bis ins letzte verstehe ich mich auch noch nicht. Deshalb habe ich so lange gewartet, weil ich mir erst mal selbst einigermaßen sicher sein wollte. Ich habe noch aus einem anderen Grund gezögert. Ich liebe Dich sehr, ich mag alles an Dir, wir haben gemeinsame Ziele, die ich mit Dir verwirklichen möchte. Wir hatten gemeinsame Zeiten der Freude und des Lachens, aber auch Stunden der Tränen. Wenn es mal ein Problem gab, dann haben wir es gemeinsam angepackt. Nun habe ich bis zu diesem Augenblick Angst und weiß wirklich nicht wie Du reagieren wirst. Ich möchte nicht, dass deswegen unsere Beziehung auseinander geht. Also denn!
Du weißt schon länger, dass ich Frauenkleider wie z. B. Seide, Lack, Leder und Nylon, sehr erregend finde. Was Dir vielleicht noch nicht bewusst ist, dass ich selbst gerne Frauenkleider trage. Das geht dann so weit, dass ich mich als Frau zurechtmache mit allem, was dazu gehört: Make-up, Perücke, Pumps, Schmuck, Parfüm und was es sonst noch alles gibt, um einigermaßen Frau zu sein. Ich denke, Du weißt was ein Crossdresser ist. Ich bin einer. Das fing bei mir schon an, als ich sehr jung war. Da habe ich Mutters Schuhe ausprobiert. Später habe ich mir dann alles selbst kaufen können. Wie bei fast allen Transgender gab es von Zeit zu Zeit “Reinigungsaktionen”. Da habe ich alles weggeworfen und wollte damit aufhören. Es hat aber nicht lange gedauert und ich fing wieder an Make-up, Dessous und Frauenkleider zu kaufen (jetzt mit eBay kein Problem mehr und nicht teuer). Ich fühlte mich jedes mal wieder schuldig, frustriert und schämte mich. Ich bin jetzt an einem Punkt angelangt, an dem ich das gelegentliche Frausein genieße. Ich kann mich endlich so annehmen, wie ich bin: Ein Mann mit einer weiblichen Seite, die auch zu ihrem Recht kommen möchte. Ich habe viel gelesen, um mich und das was ich da tue zu verstehen. Das Internet hat mir sehr viel Selbstvertrauen gebracht. Ich weiß, dass ich nicht alleine bin, ich sehe mich nicht länger als krank oder pervers an und ich weiß, dass das, was ich tue, niemanden verletzt (ich hoffe es wenigstens). Was es bei Dir auslösen wird, weiß ich nicht. Sei aber ehrlich und lass` mich Deine Gefühle und Gedanken wissen. Die Tatsache, dass ich selbstsicherer geworden bin, macht es mir viel leichter, darüber zu reden. Vor 30 Jahren, als ich selbst nicht wusste, was mit mir los ist, hätte ich nie so darüber reden können. Lass` mich einige Ängste, die Dich vielleicht befallen zerstreuen. Ich war nicht, noch bin ich, und werde ich schwul sein. Der Gedanke an eine geschlechtsangleichende Operation kam bisher noch nie in mir auf, und ich denke, wird auch nicht aufkommen. Ich mag Frauen, ich umarme und küsse sie gern, ich mag ihren Duft, die Art, wie sie sich bewegen und wie sie sprechen. Am allermeisten aber mag ich Dich.
Nun, was tue ich genau? Duschen, Rasieren und Make-up auflegen, ziehe Dessous an und ein Kleid oder Rock und Bluse. Halterlose Strümpfe oder Strumpfhose und die Pumps dürfen nicht fehlen. Zum Schluss kommt die Perücke, Schmuck und Ohrringe. Ich entspanne mich dann. In die Öffentlichkeit gehen, traue ich mich noch nicht (vielleicht zum CSD?). Ich bin mir nicht sicher, ob ich da als Frau so einigermaßen durchgehe und habe natürlich wahnsinnig Angst vor den Blicken und Bemerkungen der Passanten. Ich würde es aber gerne mal probieren. Wie fühle ich mich in dieser Zeit? Ich bin ausgeglichen, ruhig und sehr zufrieden. Früher hat mich das befriedigt, dann war der ganze Spuk vorbei und ich konnte nicht schnell genug aus den Frauenkleidern raus kommen und wieder Mann werden. Am nächsten Tag war der Wunsch, in die Frauenrolle zu schlüpfen aber wieder sehr lebendig. Ich fühle mich in der Frauenrolle sehr wohl und möchte sie so schnell nicht wieder verlassen. Ich versuche, mich wie eine Frau zu bewegen und schaue gern in einen großen Spiegel und bin überrascht, dass nach einiger Zeit meine Gesichtszüge immer femininer werden. Vielleicht ist das aber auch ein Trugbild, welches nur in meinem Kopf entsteht. Viele “Artgenossen” (siehe Internet) haben Angst, dass sie die Kontrolle über die Frauenrolle verlieren. Ich möchte, dass das Crossdressing einen Teil meines Lebens ausmacht und mit mein Leben bestimmt.
Es tut mir Leid, dass ich dies Dir nicht schon längst gesagt habe, aber ich habe selbst sehr lange gebraucht um mich einigermaßen zu verstehen und lange überlegt, ob überhaupt und wie ich es Dir sagen kann. Und noch einmal: Ich liebe Dich und möchte Dich nicht verlieren. Versuche bitte, mich zu verstehen. All das, was Du so sehr an mir magst ist immer noch da. Was anders ist? Ich habe endlich keine Geheimnisse mehr vor Dir. Ich fühle mich so frei wie noch nie und wir können offen miteinander reden. Ich freue mich schon darauf, und ich denke unsere Beziehung kann eine tiefere und reichere werden.
Ich liebe Dich. (4.2004)