Gastbeitrag von Heike Freia, Trans* Peerberaterin und freie Referentin für Gender Diversity Education und Leiterin der SHG Bielefeld und Ostwestfalen-Lippe (OWL) – Selbsthilfegruppe transidenter Menschen. Stellvertretende Leiterin der SHGs in Minden, Bad Oeynhausen und Blomberg/Lippe, sowie Trans* Supervisorin und Antidiskriminierungs-Trainerin.
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Bundesjustizminister Marco Buschmann hat am 16. Januar 2024 seine Eckpunkte zur Reform des Abstammungs- und Kindschaftsrechts vorgestellt. Die Eckpunkte sehen mit der Abschaffung von Stiefkindadoptionen für Zweimütterfamilien und der Einführung von Elternschaftsvereinbarungen massive Verbesserungen für Regenbogenfamilien vor. Ziel der Neuregelungen ist u.a. die Öffnung des Kindschaftsrechts für Regenbogenfamilien, Trennungsfamilien besser zu unterstützen und eine am Kindeswohl orientierte partnerschaftliche Betreuung minderjähriger Kinder zu verwirklichen.
- Die Bundesregierung will das Abstammungs- und Kindschaftsrecht modernisieren
Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, will Ampelkoalition das Abstammungsrecht an die gesellschaftliche Realität anpassen, das auch dem Recht des Kindes auf Absicherung entspricht, kurz:
Abschaffung von Stiefkindadoptionen für Kinder, die in Zweimütterfamilien hineingeboren werden - Notarielle Elternschaftsvereinbarungen, in denen Mütter und samenspendende Personen bereits vor der Empfängnis verbindliche Vereinbarungen über rechtliche Elternschaft, Sorge- und Umgangsrechte treffen können
- Frauen sollen kraft Ehe oder Anerkennung rechtlicher Elternteil werden können
- Rechtlichen Eltern sollen sorgerechtliche Befugnisse und Umgangsrechte vertraglich auf bis zu zwei zusätzliche Personen übertragen können
Zum Hintergrund und Status Quo
Das bisherige Abstammungsrecht verwehrt Kindern aus Regenbogenfamilien den zweiten Elternteil. Es diskriminiert zudem weibliche, trans*, inter* und nicht-binäre (tin*-) Personen als Elternteile. Mehrere Oberlandesgerichte zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der aktuellen Regelungen zum Abstammungsrecht und haben ihre Zweifel schon dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt.
Die Ampelregierung hat im Koalitionsvertrag eine umfassende Reform des Abstammungs- und Familienrechts zur besseren rechtlichen und gesellschaftlichen Absicherung von Regenbogenfamilien versprochen.
Die Eckpunkte zur Reform des Abstammungsrechtes
Das Abstammungsrecht regelt, welche Personen im Rechtssinne Eltern eines Kindes sind. Das geltende Recht führt im Grundsatz dazu, dass die leiblichen Eltern die rechtlichen Eltern eines Kindes sind. Mutter eines Kindes ist die Frau, die das Kind geboren hat. Vater eines Kindes ist der Mann, der im Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter verheiratet ist, der die Vaterschaft anerkennt oder dessen Vaterschaft gerichtlich festgestellt wird. Dabei wird es auch künftig bleiben. Von diesem Grundsatz gibt es jedoch seit jeher Ausnahmen:
- Die Annahme als Kind (Adoption) führt dazu, dass andere Personen als die leibliche Mutter und der leibliche Vater rechtliche Eltern sind
- Der Ehemann der Mutter wird kraft Gesetzes rechtlicher Vater, selbst, wenn er nicht der leibliche Vater des Kindes ist
- Auch ein Mann, der die Vaterschaft mit Zustimmung der Mutter anerkennt, wird rechtlicher Vater des Kindes, selbst, wenn er nicht der leibliche Vater ist
- Dies gilt auch für die Vaterschaft eines Mannes, dessen Partnerin nach einer Samenspende Mutter wird
Neue Familienformen und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lösen auch im Abstammungsrecht Reformbedarf aus:
- Gleichgeschlechtliche Paare können seit dem 1. Oktober 2017 heiraten. Damit stellt sich die Frage nach der rechtlichen Stellung der Ehefrau der Mutter, die das Kind geboren hat
- Schwule und lesbische Paare verabreden, dass durch private Becherspende ein Kind gezeugt werden soll, an dessen Erziehung beide Paare teilhaben wollen.
- Das Bundesverfassungsgericht hat die rechtliche Stellung leiblicher Väter betont. Das hat auch Bedeutung, wenn der leibliche Vater Samenspender ist. Auf diese Veränderungen muss auch das Abstammungsrecht reagieren.
Das soll nach Maßgabe folgender Grundsätze erfolgen:
- Die leiblichen Eltern sind auch künftig in der Regel die rechtlichen Eltern des Kindes
- Die Frau, die das Kind geboren hat, ist auch künftig immer die rechtliche Mutter des Kindes
- Es bleibt dabei, dass ein Kind nur zwei rechtliche Eltern hat
- Wird ein Kind in die Ehe zweier Frauen geboren, sind automatisch beide Frauen rechtliche Mütter des Kindes, sofern nichts anderes vereinbart ist
- Auch außerhalb der Ehe soll die Elternschaftsanerkennung unabhängig vom Geschlecht der anerkennenden Person oder einem Scheidungsverfahren möglich sein
- Zwei Frauen können daher künftig auch ohne Adoptionsverfahren beide rechtliche Mütter eines Kindes werden
- Wird das Kind durch eine Samenspende gezeugt, besteht die Möglichkeit, rechtssicher vor der Zeugung familienrechtliche Vereinbarungen über die rechtliche Elternschaft zu treffen. Zudem sollen Vereinbarungen zum Sorgerecht und zu Umgangsrechten auch von Dritten möglich sein
- Der Wunsch des leiblichen Vaters, als rechtlicher Vater Verantwortung für das Kind zu übernehmen, soll leichter verwirklicht werden können
- Die rechtsmissbräuchliche Anerkennung einer Vaterschaft soll besser bekämpft werden, indem Regelungslücken geschlossen und die Verfahren optimiert werden.
Kritikpunkte
Dass Buschmann auch hier seine eigene Vorstellungen versucht zu realisieren, hat er bereits mit dem Regierungsentwurf für das SBGG gezeigt, das nicht hinnehmbare diskriminierende Regelung enthält.
- Konkrete Vorschläge zu trans*, inter* und nichtbinärer Elternschaft im neu zu schaffenden Gesetz fehlen
- Unklar ist, ob die identitätsverfälschende Eintragung von trans*, inter* und nichtbinären Elternteilen mit ihrem unzutreffenden Geschlecht und Vornamen beendet wird
- Verheiratete Zweimütterfamilien sollen ab Inkrafttreten der Reform die Elternschaft auch für schon geborene Kinder durch Annahmeerklärung etablieren können.
Für Elternteile, die sich bereits vor der Reform um die rechtliche Elternstelle bemüht haben hat die Annahmeerklärung jedoch keine Rückwirkung auf den Zeitpunkt bereits gestellter Adoptionsanträge, Feststellungsanträge oder gemeinsamer Geburtsanzeigen
Eine Regelung, dass auch unverheiratete Zweimütterfamilien die Elternschaft bereits geborener Kinder per Annahmeerklärung etablieren können fehlt
Stimmen dazu
Der Deutsche Frauenrat (DF) bemängelt: „Entsprechend der Istanbul-Konvention fordern wir […] eine rechtliche Klarstellung, dass Gewaltschutz Vorrang vor Umgangsrecht hat.“ Und weiter. „Mit großer Sorge betrachten wir dagegen den Reformvorschlag zur einseitigen Erlangung des Sorgerechts unverheirateter Väter. Dies erschwert Müttern in Konfliktfällen das Verfahren.“
„[..] die Anordnung des Wechselmodells durch Familiengerichte nun gesetzlich zu verankern, halten wir für den vollkommen falschen Ansatz. Dieses Betreuungsarrangement ist in Einzelfällen eine gute Lösung, darf aber auf keinen Fall gegen den Willen eines Elternteils erzwungen werden. Hier muss dringend nachgebessert werden!“
Das sieht auch die Fachstelle für Regenbogenfamilien NRW so: „Punkte, die dringend nachgebessert werden müssen“. Sie und das Queere Netzwerk NRW werden den Reformprozess weiterhin kritisch begleiten und kommentieren.
„Wenn es um die geplante Familienrechtsreform geht, dann bemüht der Justizminister Marco Buschmann (FDP) große Worte“, titelt die Berliner taz.
„Für schwule Paare bringen Buschmanns Eckpunkte keinen Durchbruch, weil in der Regel (Ausnahme; Transmänner) beide Partner keine Kinder gebären können und sie deshalb eine Leihmutter benötigen. Derzeit ist die Leihmutterschaft in Deutschland aber verboten,“
Kommentar
Betroffene fordern seit vielen Jahren, die Benennung der Elternschaft nicht mehr an biologische Gegebenheiten zu knüpfen. Die Anerkennung von Eltern in ihren richtigen Geschlechtern muss endlich möglich werden. Für gebärende trans* Männer muss es möglich sein, als rechtliche Väter anerkannt zu werden. Zeugende trans* Frauen, die ein Kind gezeugt haben, müssen als Mütter ihrer Kinder anerkannt werden. Nicht-binäre Personen müssen eine neutrale Bezeichnung als Elternteil bekommen können. Die sozialen Realitäten von tin* Personen und deren Personenstände werden im Eckpunktepapier gar nicht erwähnt.
Eine Eintragung von trans*, inter* und nicht-binären Elternteilen mit ihrem unzutreffenden Geschlecht und Vornamen wird somit nicht beendet.
Internationale Studien zeigen, dass das Schutzbedürfnis vor Gewalt für tin* Personen besonders groß ist. Sie sind sehr häufig nicht nur von verbaler Gewalt betroffen, sondern auch körperlicher und sexueller Gewalt ausgesetzt. So ein Gewaltschutz wurde in den Eckpunkten nicht mitgedacht. Die Frauenhauskoordinierung (FHK), ihr sind über 500 Frauenhäuser und Fachberatungsstellen angeschlossen, fordert: „Gewaltschutz für ALLE Frauen“, und meint damit wirklich alle, die sich als cis und tin* verstehen.
Wenn im Rahmen des viel versprochenen queerpolitischen Aufbruchs bereits die wenigen Eckpunkte kritische Fragen aufwerfen, mit welcher Fragestellung werden wir als Betroffene dann mit Buschmanns Referentenentwurf konfrontiert?
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