Die ungeschminkte Wahrheit
„geschrieben von Gitta“
11. April 2009, Samstag, vor Ostern, 4 Uhr morgens, irgendwo in Translandien.
Unser bekannter Reporter vom Wochenblatt wachte schweißgebadet auf, hatte ihn doch sein Chef am Karfreitag angerufen, er solle noch eine Story für die nächste Ausgabe schreiben.
Also nix wie raus aus den Federn, erst noch andere Arbeiten erledigen und dann erstmal Kaffee kochen.
Fünf Tassen Kaffee und einige Zigaretten später war das Papier immer noch leer, die Uhr zeigte 8 Uhr, die Ideen wollten heute einfach nicht kommen. Er setzte sich in sein Auto und fuhr los.
An einem Rastplatz an der A 3 hielt er an, der Kaffee forderte seinen Tribut.
Die Szenerie, die sich ihm bot, kam ihm allerdings irgendwie bekannt vor:
Auf einer der Bänke saß eine alte Frau, die in aller Ruhe ihre Fingernägel in feuerrot lackierte.
„Vielleicht ist das ja der Anfang einer interessanten Geschichte“, dachte er sich, aber als er von der Toilette kam, war die Alte schon wieder verschwunden.
Also fuhr er weiter nach Norden in Richtung plattes Land. Irgendetwas zog ihn genau dorthin, wo er im vergangenen Jahr schon einmal war, nämlich nach Gruiten.
Aber auch hier hatte sich noch nichts verändert und es hatte sich immer noch keiner hinter den Zug geworfen. Der Weg vom Parkplatz zum Bahnsteig war noch immer so kompliziert, erst musste man durch einen Tunnel zum ersten Bahnsteig, um diesen wie auf einem Catwalk entlang zu laufen, bis man durch einen weiteren Tunnel zum nächsten Bahnsteig gelangen konnte.
Aber bereits nach der ersten Treppe sah er sie, genau wie damals: 6 Frauen, die dichtgedrängt um einen Bahnarbeiter herumstanden. „Das muß ich mir aber doch mal aus der Nähe anschauen“ sagte er sich und gelangte mühsam nach etwa 83 Stufen ab und wieder hoch auf den Bahnsteig.
Jetzt konnte er es auch erkennen: Was er für die orangefarbene Warnweste des Bahnarbeiters gehalten hatte war die Jacke einer weiteren Frau.
7 Frauen an Gleis 7 und gleich kommt ein Zug, was hatte das nun wieder zu bedeuten?
Pünktlich um 10:31 Uhr fuhr sie ein, die Regionalbahn nach Köln.
Wie damals beschloss er, mit den Frauen Xenia, Ute, Rita, Kirsten, Ava, Bernadette und Gitta mitzufahren.
Es wurde eine amüsante Fahrt, das Geplapper immer lauter und lustiger und der Reporter wunderte sich wieder: Komisch, wieso funktioniert das bei Frauen alles ohne Alkohol…
Nach einer guten halben Stunde erreichten sie Köln Hauptbahnhof, Gleis 5.
Verwirrung machte sich breit, die Damen suchten die Treppe nach unten.
Aha, sie hatten wohl das Ziel der Reise erreicht.
Aber nein, sie suchten lediglich mit der dem weiblichen Geschlecht üblichen Logik das Gleis 4, welches plötzlich am selben Bahnsteig auf der anderen Seite lag.
Auf der Anzeigetafel las der Reporter irgendetwas von Koblenz.
Wollten die sieben etwa dorthin? Noch weiter ins Rheinland als beim letzten Mal?
Er bewunderte den Mut der Schönen und um 11:32 ging es also weiter im Doppelstockzug.
Es muß wohl für die unten sitzenden grausam gewesen sein, denn die Freundinnen wollten die Aussicht genießen und stöckelten natürlich nach oben und jeder Schritt klapperte auf dem Kunststoffboden. Und bis sieben Paar Frauenbeine den richtigen Platz gefunden haben, so etwas kann ziemlich lange dauern!
70 Minuten sollte die Fahrt jetzt dauern, aber schon in Köln – Süd mäkelte Gitta rum:
„Wie lange noch?“ und „Sind wir bald da?“ „Wo ist denn der Speisewagen?“ Ava, die neben ihr saß, war bis Brühl schon ziemlich genervt. Als hinter Bonn plötzlich etwas Graues neben dem Zug lag und glitzerte, wurde Gitta plötzlich aufgeregt: „Da ist etwas komisches, ich hab Angst!“ Da platzte Ava der Kragen und beruhigte sie: „Das ist der Rhein, der war letztes Jahr auch schon da. Jetzt iss einen Keks und sei ruhig“.
Plötzlich wurde es hektisch und laut im Zug. Gab es etwa Krawall oder eine Meuterei? Xenia und Ute lagen auf dem Boden, Rita und Kirsten blickten ebenfalls suchend nach unten, Ava lief voller Panik nach vorne, nur Bernadette und Gitta schauten mit wachsender Begeisterung und teilnahmslos bis unschuldig aus dem Fenster. Was war passiert? Von einer Cremetube, war der Deckel verloren gegangen! Nach einer Weile wurde die Suche im ganzen Wagen erst einmal erfolglos abgebrochen, um sie nach fünf Stationen wieder aufzunehmen.
Und tatsächlich, man fand ihn im Nebenabteil unter dem Sitz.
Jetzt war guter Rat teuer, wie sollte man jetzt daran kommen, schliefen doch die dort sitzenden tief und fest. Aber Frau weiß sich ja bekanntlich zu helfen und so rief Ute zu den anderen ziemlich laut: „Die schlafen da!“ Und es half, die Passagiere wurden wach und Ute freute sich, nicht weniger leise: „Och nö, guckt mal, die sind doch wach!“ Die Fahrgäste gaben ihr den verlorenen Deckel wieder. Ute bedankte sich artig und es konnte gemütlich weitergehen bis etwa Höhe Andernach.
Und schon wieder gab es Randale im Abteil der Frauen:
Rita und Xenia wühlten panikartig ihre Schminkkoffer aus ihren Handtaschen, denn das Rouge musste aufgefrischt und die Lippen nachgezogen werden, was sie gerade noch vor dem Ziel schafften.
Koblenz Hauptbahnhof war erreicht und in Windeseile ging es heraus aus dem Bahnhof, so schnell, dass die beiden verdutzt dreinschauenden Bahnpolizisten vor Schreck zur Seite sprangen. Durfte man doch gefühlte 4 Stunden nicht rauchen!
Wohin jetzt? Es war Mittagszeit und allgemeiner Hunger machte sich breit.
Die Damen verteilten sich in 2 er und 3 er Grüppchen und liefen auf einer Länge von hundert Metern auseinander gezogen in Richtung Innenstadt.
Der Reporter hatte Mühe, ihnen zu folgen, aber irgendwo leuchtete ja die orangefarbene Jacke in der strahlenden Sonne, die ihm die Orientierung erleichterte.
Zunächst ging es in eine Bäckerei, um einen kleinen Imbiss zu sich zu nehmen und etwas zu trinken. Es gab kleine Lachshäppchen und belegte Riesenbrötchen. Kurz vor dem Aufbruch wurde noch die Toilette aufgesucht, während eine der Frauen sich nach dem Brötchen noch schnell eine Pizza bestellte.
Oje, wenn das aber jetzt so weitergeht. Wie lange hatten die sieben denn den Aufenthalt in der Stadt geplant? sie hatten doch gar kein Übernachtungsgepäck dabei!
Endlich fertig, steckte sich Gitta im Herausgehen in weiser Voraussicht noch schnell Milch und Zucker von der Auslage in ihre Handtasche, und die Mädels steuerten suchend die ersten Geschäfte an.
Ja, da war es doch, das bekannte Logo, Garant für Qualität und große Auswahl: C&A, die Erfüllung all ihrer Wünsche! Rauf in die Damenabteilung und hier fühlten sie sich wohl, konnten sie doch nach Herzenslust wühlen, schauen, stöbern, anprobieren und fachsimpeln.
Es gab sogar orange Dessous, allerdings biss sich die Farbe mit der bekannten ähnlich farbenen Jacke.
Schwer bepackt mit Schuhen, Oberteilen, Jacken, BHs und sonstigem, aber auch mit strahlenden Gesichtern verließen sie nach etwa einer Stunde wieder die Oase der weiblichen Lusterfüllung und schlenderten gemütlich in Richtung Moselufer, nicht ohne vorher die Koblenzer Liebfrauenkirche zu besichtigen, denn es war ja Ostern.
Direkt am Wasser lud ein Biergarten zum Verweilen, Sitzen und Lästern ein.
Bei Kaffee, Bier, Cola und Wasser genossen sie die Ruhe und die Sonne und ließen es sich gut gehen, endlich auch für den Reporter einmal eine wohl verdiente Pause.
So gestärkt ging es nach einer Weile zum Deutschen Eck. Dort in dem etwas ungeschützten Bereich wo Mosel und Rhein zusammenfließen, ist es naturgemäß etwas windiger und die Damen drückten plötzlich fast alle eine Hand fest auf ihre Köpfe. Es schien fast so, als hätten sie Angst, dass ihre Haare fliegen gingen!
Aber sie ließen sich nicht beirren und genossen die Aussicht auf die weite Flusslandschaft, die gegenüberliegende Festung Ehrenbreitstein, das Denkmal, die Kultur darf ja bei solch einer Tour auch nicht zu kurz kommen.
Nach den obligatorischen Erinnerungsfotos ging es am Rheinufer entlang, bis sie vermutlich die Orientierung verloren.
Ratlos standen sie in der Nähe eines kleinen Gartenrestaurants und überlegten, woher sie jetzt gehen mussten.
Das erregte wohl das Mitleid – oder war es Neugier – des dort arbeitenden Kellners, der schnell angelaufen kam, um die Damen wieder auf den richtigen Weg zu bringen.
Jetzt übernahm Ava die Führung, und entsprechend ging es vorbei an Bauzäunen, über holprige Wege und quer über Parkplätze hinweg, bis ein weiterer Zaun das Ende signalisierte.
Hier war es also, das Schloss ohne Schloss, versperrt durch Bauzäune, Erdhügel und Baumaschinen.
Und wieder hatten die unerfahrenen Mädels vom Lande etwas gelernt:
So geht das also mit den historischen Gebäuden, die müssen erst noch gebaut werden!
Also ging es von dort aus quer durchs Gelände in die Koblenzer Altstadt, wo sie auch bald ein ansprechendes Gartenrestaurant fanden.
Dort gab es allerdings nur 4er Tische mit bequemen Stühlen, und zwei große Tische mit harten Bänken. Als die sieben jedoch anfingen, die kleinen Tische zusammen zu schieben kam auch schon die Bedienung angelaufen und verwies auf die unbequemen Bänke. Ava, immer noch schuldbewusst, redete auf die Angestellte ein und schließlich durften sie sich dann doch gemütlich nieder lassen.
Nach dem Studieren der Speisekarte bestellten sie sich Geschnetzeltes, Lammsteak und Brauereispieß. Das Essen war reichlich, sehr lecker und auch ansprechend angerichtet. Nur eine Dame hatte noch Hunger und bestellte sich noch einen üppig belegten Flammkuchen hinterher. Später gab es für einige noch einen Dessert.
Der Kaffee war wohl etwas bitter, aber dank Gitta hatten sie ja noch Reserven an Milch und Zucker aus der Bäckerei am Morgen gebunkert.
Einer der Kellner wird sich wohl demnächst in therapeutische Behandlung begeben müssen, er leidet wohl anscheinend an Trannyphobie. Denn jedes Mal, wenn eine der Damen etwas bestellen wollte, ging er mit höflicher Ignoranz an ihnen vorbei.
Es wurde viel gelacht, erzählt und die Abendsonne genossen.
Und wieder war es Gitta – wer denn auch sonst – die für Aufsehen sorgte. Sie packte nämlich ihre Einkaufstasche aus und stolz präsentierte sie ihren Weggefährtinnen und den anderen Restaurantgästen ihre neueste Errungenschaft: eine schneeweiße Kunstlederjacke, die sie auch gleich anbehielt.
Aber als sie auch noch ihre neuen Dessous vorführen wollte, wussten ihre Freundinnen sie mit aller Gewalt daran zu hindern.
Der Abend verging wie im Fluge und es wurde Zeit aufzubrechen, um den letzten Zug nach Gruiten noch zu erreichen.
Die letzten Meter mussten dann doch noch im Spurt absolviert werden, verfolgt von neugierigen und erstaunten Blicken der Passanten. Der Reporter hatte Mühe, ihnen zu folgen, er musste sich ebenfalls wundern, wie schnell Frauen in hohen Absätzen doch laufen können.
Die sieben Freundinnen traten also die Heimreise an, mit einem Bummelzug, der an jeder Milchkanne hielt und endlich nach 90 Minuten Köln – Deutz erreichte.
Zehn Minuten später ging es weiter ins Bergische Land nach Gruiten, wo die Mädels dann endlich erschöpft und glücklich ankamen.
Sie verabschiedeten sich voneinander und eine jede ging oder fuhr nach Hause.
Und unser Reporter? Der ist um eine Erfahrung reicher:
Sieben Frauen auf einmal im Auge zu behalten, ist schlimmer, als ein Sack Flöhe zu hüten.
Und die Story für seine Zeitung hat er auch dieses Mal nicht gefunden. Auch er machte sich auf den Heimweg, was soll er denn jetzt seinem Chef erzählen?
Als er auf dem Rastplatz an der A 3 wieder anhalten musste, traf er auch die alte Frau wieder, die gerade verzweifelt versuchte sich den feuerroten Nagellack wieder von den Nägeln zu wischen.
Und wieder einmal hatten Kirsten und Rita eine sehr gute Idee umgesetzt und den Ausflug geplant.
Die Damen erlebten einen wunderschönen Tag bei bestem Wetter in netter Gesellschaft und freuen sich alle schon auf die nächste gemeinsame Gendertour .
>> Zur Inhaltsübersicht