Vom Jungen zum Mädchen

Autorin: Tina

Hallo

Mein Sohn hat mir vor 2 Jahren ( damals 16 ) gesagt er fühle sich als Mädchen. Ich war wie vor den Kopf gestoßen, denn bis dahin war er ein typischer Junge und nichts deutete darauf hin das er sich als Mädchen fühlte oder lieber eins sein möchte.

Das Thema wurde nie wieder angesprochen. Vielleicht hätte ich das damals machen sollen, vielleicht hätte ich mir vorher mal Hilfe holen sollen aber im Nachhinein ist man immer schlauer. Er hat dann angefangen Röcke und Kleider zu tragen, betonte aber immer das sei nur ein Kleidungsstück. Ich sagte dazu nix, sagte immer nur pass auf dich auf. Er musste sich öfter mal verteidigen gegen Jungs die zudringlich wurden, da sie dachten er sei ein Mädchen. Verteidigen kann er sich, denn nach 13 Jahren Judo Training hat er gelernt wie und wo es wehtut wenn er den einen oder anderen Griff anwendet. Nun 2 Jahre später teilte er mir mit das er bei einem Psychologen war und er wollte von nun an als Mädchen bzw junge Frau leben.

Wir haben am Sonntag endlich mal wieder ein wenig länger gesprochen. Sie möchte gerne mit Ihrem neuen Namen angesprochen werden aber mir fällt es schwer. Ich weiß selbst nicht warum, denn der Name ist schön den Sie gewählt hat. Für mich war es halt 18 Jahre lang T..

Wie lange hat das denn bei Euch gedauert bis der neue Name saß? Ich habe das Gefühl das die Pubertät alles durcheinander gewirbelt hat und das unser Verhältnis sehr darunter gelitten hat. Sie meinte, es gehört dazu (zum Erwachsenen werden) sich um die Probleme selbst zu kümmern. Obwohl ich immer sagte egal was kommt ich helfe dir. Erst wenn es schlimmer wurde dann durfte ich helfen und das haben ich auch immer getan und werde dies auch weiterhin tun. Nur weis ich gerade nicht wie ich Ihr jetzt helfen kann. Habt Ihr Tipps?
Danke

Autorin: Manuela

Hi Tina,

Erst mal zu dir. Du hast nichts falsch gemacht. Helfen kannst du ihr nur, indem du für dich akzeptierst, dass sie eventuell transident ist. Gerade in der Pubertät kann es zu Irritationen kommen, aber ich denke, dass sie schon viel früher bemerkte, dass sie anders ist.

Sie war beim Psychologen, das ist schon mal gut. Der Psychologe ist aber nicht der „Weihnachtsmann“, der ihr die „Flausen“ austreibt. Er wird sie ihren eigenen Weg finden lassen.
Wissenschaftlich gesehen besteht die Möglichkeit, dass Transidentität angeboren ist. Weder du, noch sie kann also etwas dafür. Falls du mehr darüber wissen möchtest, wirst du im Forum kompetente Ansprechpersonen finden.

Jetzt kannst du deine Tochter bestärken, eine begleitende Therapie bei einer transerfahrenen Psychologin zu beginnen. Das hat dann zur Folge, dass sie evtl. einen Pubertätsblocker und gegengeschlechtliche Hormone bekommt, sofern sie dafür eine Indikation der Psychologin vorlegen kann. Danach kommt der rechtliche Weg, der im Moment leider noch nach dem alten Transsexuellengesetz durchgeführt wird. Also 2 Gutachter, ein Gerichtsbeschluss, geänderte Geburtsurkunde, neuer Personslausweis usw.. Eine geschlechtsangleichende Operation ist zwar heute nicht mehr vorgeschrieben, aber wenn sie das möchte, solltest du sie dabei unterstützen. Trotzdem möchte ich hier erwähnen, dass es bei etwa 1,5 Prozent aller Fälle zu einer Re-Transition kommen kann, wenn die betreffenden Person sich nicht ganz sicher bei ihrer Entscheidung war.

Wie möchte denn deine Tochter angesprochen werden? Sie hat von Geburt an ein Gehirn in ihrem Körper, das dem Gehirn einer Frau ähnlicher ist. Denken und fühlen war bei ihr bestimmt schon in der Kindheit anders. Sie war schon immer dein Kind und wird es immer bleiben.

Natürlich gibt es in der Übergangsphase, die meist 2 Jahre dauert, in der Nachbarschaft viel Gerede, auch der Vertrauenslehrer in der Schule wird sich für sie interessieren. Das wird dann auch eine Herausforderung für dich.

Helfen kannst du ihr, indem du sie auf ihrem Weg begleitest aber nicht zu einer Entscheidung drängst. Ja, spreche sie so an, wie sie es möchte. Du wirst dich schnell an ihren neuen Namen gewöhnen und du wirst sehr schnell erkennen, wie erleichtert deine Tochter sein wird, wenn sie die ganzen sehr belastenden Heimlichkeiten endlich über Bord werfen kann. Hilf ihr bei Themen wie schminken, gib Tipps für einen alltagstauglichen Kleidungsstil, falls ihr Outfit zu nuttig wird, macht zusammen mal einen Mädelstag. Das Thema Selbsthilfegruppe ist gerade am Anfang der Transition besonders wichtig aber lasst euch nicht von übereifrigen Trans*- Menschen zu irgend etwas drängen.

Soweit erst mal ein kurzer Überblick. Ich möchte dich nicht mit noch mehr Informationen überfordern. Später kommen sicher noch mehr Fragen, aber lass dir Zeit dafür.

Noch einmal zu dir. Ich sehe in dir eine verständnisvolle Mutter. Deine Tochter kann stolz auf dich sein.

Liebe Grüße
Manuela

Autorin: Linde

Ich möchte mich Manuelas Ausführungen anschließen. Ich bin Medizinwissenschaftlerin und lehre an einer medizinischen Hochschule über Gender nicht konforme Menschen. Von verschiedenen neurologischen Studien wissen wir mittlerweile, dass das Gehirn von Trans*- Menschen dem Gehirn der Menschen des Zielgeschlechtes entspricht. Wie das passieren kann, wird derzeit noch nachgeforscht.

Du kannst davon ausgehen, dass deine Tochter das Unglück (als Feministin würde ich das eher als Glück bezeichnen) hatte, mit einem weiblichen Gehirn in einem männlichen Körper geboren worden zu sein. Wir Mediziner können den Körper angleichen aber das Gehirn können wir nicht ändern, daher werden alle medizinischen Eingriffe auf den Körper konzentriert. Je nach Fortschritt der männlichen Pubertät deiner Tochter helfen Pubertätsblocker diese männliche Pubertät zu stoppen, um eine weiter Vermännlichung zu unterbinden. Falls es sich herausstellen sollte, dass eure Tochter doch nicht Trans* ist, werden die Blocker abgesetzt und die Pubertät geht weiter. Falls sie doch Trans* ist, was mit eurer Hilfe, der Hilfe von fachorientierten Psychologen und den behandelnden Ärzten belegt werden muss, können ab dem Alter von 16 Jahren weibliche Hormone verabreicht werden, die eine Verweiblichung ihres Körpers bewirken. All das entwickelt sich wieder zurück, sollte sie doch nicht Trans* sein und die Hormone werden abgesetzt. Wie du sehen kannst, gibt es recht viele „Notausgänge“.

Nach ihrem 18. Geburtstag kann damit begonnen werden, eventuell eine geschlechtsangleichende OP (GaOP) zu machen, um ihre männlichen Geschlechtsorgane in weibliche Organe zu ändern. Das ist eine recht aufwendige OP, und niemand nimmt sie auf die leichte Schulter. Eins muss deiner Tochter dabei klar sein, sie wird unfruchtbar werden, weil die männlichen Gonaden entfernt werden und sie keine weiblichen hat. Sie kann eventuell ihre Samen einfrieren lassen.

Der Weg deiner Tochter ist mit Dornen und Schmerzen besäht aber wir wissen auch, dass über 60% der jungen Trans*- Menschen Selbstmord begehen, wenn sie ihr Leben nicht leben können und fast alle davon Selbstmorde versuchen. Diese Selbstmordrate sinkt gegen Null, wenn sie ihr Leben leben dürfen und die Unterstützung der Eltern dabei haben.
Es sollte eigentlich keine Frage sein, ob man lieber eine gesunde, glückliche Tochter haben will als einen toten Sohn.

Ich selbst habe einige Zeit als Mann gelebt (ich bin nicht Trans* aber Intersex), weil bei meiner Geburt mein Geschlecht falsch eingeordnet wurde. Ich habe keine Pubertät gehabt (und daher noch nie im Leben Pickel gehabt). Aber an meinen Geschlechtsteilen wurde nach der Geburt herum gefuscht, um mich männlich zu machen (man nennt das normalisieren). Da ich mich absolut nicht männlich entwickelt hatte, sondern eher weiblich, bin ich später zu meiner Frauenseite umgewechselt und musste daher auch eine GaOP bekommen. Heute bin ich eine recht glückliche, beruflich recht erfolgreiche ältere Frau und ich wünschte, ich wäre 30 Jahre jünger und brauchte nicht ständig mit dem Ring um die Mitte (die beliebte Fettablagerung bei älteren Frauen) zu kämpfen. Da die meisten Intersex-Menschen unfruchtbar sind, habe ich meine Tochter adoptiert. Sie ist heute eine erwachsenen Frau und immer noch der Sonnenschein meines Lebens.

Deine Tochter hat die gleiche Chance, eine glückliche Frau zu werden, so lange die Eltern ihr dabei helfen, glücklich zu werden!

Linde