Autorin: Julien`s Mutter
„Mädchen sein ist doof, ich möchte lieber ein Junge sein!“ Was macht man, wenn eine ca. 7-jährige Tochter so etwas sagt? Ehrlich gesagt – gar nichts. Man nimmt es nicht ernst und vor 20 Jahren habe ich auch überhaupt nicht geglaubt, dass man daran etwas ändern könnte. Die Anzeichen waren da, mal mehr, mal weniger oder sie wurden ignoriert.
Ich erinnere mich lebhaft daran als es hieß, etwas passendes zum Anziehen für die Konfirmation zu kaufen. Die strickte Weigerung ein Kleid anzuziehen führte zu dem Entschluss Hose und Bluse zu kaufen. Mädchen in Hosen ist ja kein Problem. Bei den Schuhen wurde es dann hoch kompliziert. Bloß nichts Schickes und auf gar keinen Fall Pumps!
Die Zeit der Pubertät ist ohnehin schwierig, aber wenn dein Kind sich zurückzieht, nur noch in seinem Zimmer ist, in virtuellen Welten im Internet ist und keine wirklichen sozialen Kontakte hat. Gespräche nicht stattfinden oder mit Streit enden. Was dann? Resignation?
An dem langen Weg der Entscheidungsfindung habe ich leider nicht teilgenommen. Ich kann nicht nachvollziehen welche emotionalen Torturen man da bewältigen muss. Der Weg ist ja schon schwer genug, festzustellen da stimmt was nicht, festzulegen was da nicht stimmt und die Entscheidung zu treffen daran etwas zu ändern.
Wir hatten uns voneinander entfernt, aber wir haben uns wiedergefunden. Nicht, weil wir etwas falsch gemacht haben, sondern weil wir nicht wussten, was überhaupt los war.
Vor ca. 2 Jahren dann das endgültige Outing. „Mein Entschluss steht fest, ich werde ein Mann.“ Was bedeutet das denn jetzt? Auf jeden Fall ein langer Weg. Psychologische Betreuung, psychologische Gutachten, Beantragung der Personenstandsänderung, Einnahme von Testosteron, geschlechtsangleichende Operationen, Genehmigungen der Krankenkasse über die Kostenübernahme; auf jeden Fall viel Geduld für den ganzen Papierkram und den Zeitaufwand.
Als Mutter kann ich mein Kind nur unterstützen und begleiten. Zuhören und reden. Ich habe keinen Jungen geboren und es brauchte seine Zeit bis ich mich an den anderen Vornamen gewöhnt habe. Das klappt mittlerweile, obwohl mir manchmal noch das „sie“ heraus rutscht. „Ist Julien schon da? Was hat sie denn gesagt?“ Aber auch das wird immer weniger. Vor kurzem haben wir seinen „richtigen“ Geburtstag gefeiert und dabei wurde symbolisch der BH verbrannt. Es war die erste Geburtstagsparty überhaupt im Kreis von Freunden und Familie. Die Zeit der Einsiedelei und der Zurückgezogenheit ist endgültig vorbei. Mein Kind geht endlich raus und hat Freunde. Und das Wichtigste: Wir reden miteinander! Ich platze fast vor Stolz und laufe über vor Liebe, wenn ich sehe, wie glücklich, frei, aufgeschlossen und ja auch übermütig mein Sohn ist. Die pure Lebensfreude! Mehr kann doch eine Mutter nicht wollen.
„Mädchen sein ist doof, ich werde jetzt ein Junge.“ Ok! Ich bin da, gehen wir los, es lohnt sich!