Mein Fahrplan

Autorin: Comitas

Schon Anfang 2016 in meiner mit dem allerersten Posting verbundenen Vorstellung nach der Anmeldung (das war noch in der Vorgänger-Version dieses Forums) hatte ich versprochen, Euch auf dem Laufenden über meinen eingeschlagenen Weg zu halten. Ein für die schnelllebige virtuelle Welt eigentlich recht betagtes Versprechen, welches für mich dennoch unverändert seine Gültigkeit hat. Selbst wenn zwischen den Folgebeiträgen in diesem meinem Thread eben schon mal ein halbes Jahr oder mehr ins Land gehen kann…

Wie dem auch sei, nun – ich hoffe, Euch waren insofern allem voran ebenso geruhsame Weihnachtsfeiertage vergönnt wie mir – ist es also wieder ein passender Zeitpunkt gekommen, um erneut ein paar ausführliche Zeilen darüber zu hinterlassen, wie sich die Dinge im Laufe dieses Jahres für mich so weiterentwickelt haben.

Das Fundament meiner Transition in beruflicher Hinsicht stellte (siehe meine vorherigen Einträge im Forum) ja der von meiner Kanzlei zum Herbst vergangenen Jahres ermöglichte Beginn einer Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellten dar. Um das Erfreulichste in dieser Hinsicht vor anzustellen: In dieser Sphäre hätte meine Transition ungebrochen echt nicht besser laufen können und das tagtägliche menschliche Miteinander, sowohl intern als auch in Bezug auf Interaktionen mit Mandantschaft, Partnerkanzleien oder sonstigen Dritten läuft bestens. Ich fühle mich insoweit zu nicht weniger als 100 % als Frau wahrgenommen und schätze es, dass mir von meinem Arbeitgeber gerade bei den typischen trans*-bezogenen Pflichtterminen bezüglich der fortgesetzten Bartentfernung, ärztlichen Check-ups usw., bei Bedarf ungebrochen verständnisvoll entgegengekommen wird.

Als gravierende Schattenseite hat mein beruflicher Alltag an den Arbeitstagen, an denen ich nicht für die Berufsschule freigestellt bin, jedoch im Prinzip fortwährend nahezu nichts mit dem einer/eines Auszubildenden gemein. Und da, um es in dieser Hinsicht auf den Punkt zu bringen, die gegenwärtigen Arbeitsbedingungen im Hinblick auf Art und Umfang meiner tatsächlichen Tätigkeiten – erst recht in Relation zu dem bis heute weiterhin äußerst bescheidenen Gehalt – für mich zunehmend nicht mehr darstellbar sind, bin ich zu dem Entschluss gelangt, dass ich meine berufliche Zukunft nach Ende der Ausbildung lieber woanders suchen möchte.

So überschaubar diese Aussichten auf dem Papier bzw. auf den ersten Blick nahezu unverändert auch anmuten mögen, das soll es – oder besser: das soll ich es – mir wert sein.

Eigentlich hätte nicht viel gefehlt, dass ich die Abschlussprüfung schon Anfang dieses Monats nach folglich weniger als knapp eineinhalb Jahren Ausbildungsdauer geschrieben hätte. Schließlich wäre die dafür erforderliche nochmalige Verkürzung der Ausbildung bis vor kurzem sogar eher eine bloße Formalität gewesen. Doch die Hürden für die erforderliche Darlegung der weiteren Verkürzungsgründe wurden von der örtlichen RAK überraschend erst neulich über den sehr guten Notendurchschnitt in der Berufsschule und das prinzipielle Einverständnis des Ausbilders hinaus derart angehoben, dass ich da selbst am Ende selbst vorzeitig und völlig entnervt einen Rückzieher gemacht hatte.

In der Folge sieht der pragmatisch angepasste „Fahrplan“ für mich deshalb derzeit so aus, dass ich mich eben lieber mit dem darauffolgenden Termin für die Abschlussprüfungen Anfang April zufrieden gegeben habe, an dem ich indes nachgerechnet auch gerade mal siebzehn fortlaufende Ausbildungsmonate hinter mir haben werde. Das nimmt sich alles zeitlich also zum Glück nicht wirklich viel.

Doch um explizit noch einmal auf die Berufsschule zu sprechen zu kommen: Mit diesem Teil der Ausbildung ging es seitdem ebenfalls nicht minder planmäßig voran und zur Belohnung hielt ich erfreulicherweise vor den Sommerferien (Halbjahreszeugnisse für die von der Ausbildungsgangleitung so getauften „Schnellläufer-Klassen“ wie meine gibt es an diesem Berufskolleg im 1. Ausbildungsjahr üblicherweise nicht) ein von den Noten her sehr gut ausgefallenes Zeugnis in den Händen. Nicht zuletzt unweigerlich schon deshalb ein ganz besonderer Moment für mich, weil mir in Form dieses Zeugnisses für das komplettierte erste Ausbildungsjahr somit erstmals in meinem Leben offiziell ein bedeutsamer Leistungsnachweis überreicht wurde, der auf „Frau Sonja U.“ lautet.

Über das vermittelte Prüfungs- und Praxiswissen hinaus hat die Zeit in der Berufsschule für mich dabei jedoch – wie es bereits in meinen vorherigen Beiträgen hier anklang – noch eine weitaus größere persönliche Bedeutung behalten. Denn es ist eben faktisch das erste Umfeld von Dauer, in dem ich spürbar ausschließlich als gewöhnliche Cisfrau wahrgenommen und behandelt wurde. Weswegen sich fortan insbesondere der Umgang mit meinen Mitschülerinnen von vornherein denkbar unbeschwert gestaltete. Während ich es bis heute zeitweise echt kaum fassen kann, dass mir die anderen Mädels über so einen langen Zeitraum hinweg offenbar nicht angesehen und/oder sonst wie angemerkt zu haben scheinen, dass ich trans* bin. Faszinierend.

Beziehungsweise fast so faszinierend, wie dass mich meine Mitschülerinnen nach den Sommerferien in anonymer Abstimmung bzw. ohne jegliche Vorfrage „wer denn möchte…“ zur neuen Klassensprecherin gewählt haben. Ich war daraufhin jedenfalls beides, fühlte mich durch das geschenkte Vertrauen total geehrt (mit mir sind wir in diesem zweiten Ausbildungsjahr 16 Schülerinnen in der Klasse; will nebenbei also heißen, dass wir selbst in der Zwischenzeit keinen einzigen Jungen in der Klasse dazu bekommen haben…) und war zugleich für den Moment vollkommen perplex.

Okay, streng genommen müsste ich meine Klassenkameradinnen selbstverständlich ausdrücklich darauf ansprechen, wenn ich gesichert würde wissen wollen, ob sie meinen trans*-Hintergrund zwischenzeitlich nicht vielleicht doch erkannt haben. Doch angesichts der Tatsache, dass die freilich äußerlich zweifelsohne nach wie vor sichtbaren Spuren meines persönlichen „männlichen Migrationshintergrundes“ selbst meiner Sitznachbarin und Freundin Caro in unseren vermehrt stattfindenden gemeinsamen Unternehmungen außerhalb der Berufsschule nicht auffielen, spricht wohl alles dafür, dass es den anderen Mädels da nicht anders gegangen sein wird.

Der Grund warum ich um Letzteres weiß, führt derweil umgehend zu einem weiteren rundum schönen Thema dieses Updates, nämlich dass ich in der Klasse mit Caro unerwartet auch erstmals in meinem Leben eine erste (wenn man so will) richtig originäre Frauenfreundschaft schließen durfte. Denn Caro, die es selbst nach vorherigem geisteswissenschaftlichem Studium an der Kölner Uni mit Mitte zwanzig in die ReFa-Ausbildung und damit ans Berufskolleg verschlagen hatte und ich, wir hatten ohne Übertreibung vom ersten gemeinsamen Schultag an einfach einen total guten Draht zueinander. Wurden anschließend zu nahezu unzertrennlichen Tischnachbarinnen und unternahmen mit der Zeit eben konsequenterweise auch nach Unterrichtsschluss eben immer mehr gemeinsam.

Und je enger unser Kontakt zueinander wurde, umso mehr wuchs in mir das Bedürfnis – wohlgemerkt ohne bis dahin Gewissheit gehabt zu haben, ob sie oder etwa auch ihr fester Freund, mit dem sie zusammen wohnt, mein gewisses Anderssein nicht doch längst bemerkt hatten – mich ihr in der Sache einmal mitzuteilen. Denn über alles (!) reden zu können, das ist es doch, was eine richtige Freundschaft ausmachen sollte, nicht wahr? Und Passing hin oder her, wer will schon ein nervenaufreibendes Versteckspiel vergangener Tage im engsten privaten Umfeld dauerhaft gegen ein anderes eingetauscht haben?!

Mit jener sich anbahnenden Aussprache war es letztlich dann vergangenen Juli noch vor den Sommerferien soweit und das damalige Vieraugengespräch, was sich zwischen mir und Caro völlig ungezwungen an einem schon vom Wetter her Bilderbuchmäßigen Sommertag am Kölner Rheinufer ergab, werde ich immer im Herzen tragen.

Seitdem weiß ich jedenfalls, dass mich meine mir echt ans Herz gewachsene Banknachbarin in der Tat für eine gebürtige Frau, wie sie selbst eine ist, hielt, ohne dass jene neuen Erkenntnisse aber etwas an ihrer Wertschätzung von mir als Freundin geändert hätten. Begleitet davon, dass Caro das Ganze seitdem vorbildlich für sich behielt. Ein Umstand, auch dank dem es im Hinblick auf die anderen Mädels in der Klasse bis heute so geblieben ist, dass die spürbar nicht infrage stellen, dass mein Geburtsgeschlecht ein anderes gewesen sein könnte als das, in dem sie mir seit unserem gemeinsamen Ausbildungsbeginn erstmals begegnet sind. Mehr noch, ich möchte fast meinen, dass es mir seit jenem Coming-out unter, im Vergleich zu früher, gewissermaßen „umgekehrten Vorzeichen“ vergönnt war, im Berufsschulumfeld sogar irgendwie das Beste aus beiden Welten zu vereinen. Indem ich nämlich neben der Ausbildungsgangleitung auch für meine Freundin Caro als trans* sichtbar und vollkommen akzeptiert bin, für alle anderen jedoch fortwährend augenscheinlich als beliebige Cisfrau durchgehe.

Versteht mich bitte nicht falsch. Ich habe kein Problem damit, entspannt und souverän zu mir zu stehen, wenn auch Fremde von sich aus merken oder gegebenenfalls durch Hinweise anderer Dritter spitz kriegen, dass ich trans* bin. Denn auch das habe ich über die letzten Jahre gelernt, wobei die öffentlichen Stammtischtreffen des Gendertreffs nur eine von vielen angenehmen Gelegenheiten dafür boten. Doch ich genieße diesen glücklichen Umstand einfach sehr, im Alltag ansonsten erfahrungsgemäß den Eindruck hinterlassen zu können, dass zwischen dem weiblichen Geschlecht, in dem ich mich heutzutage selbstbewusst präsentiere, und meinem Geburtsgeschlecht erst gar keine Abweichung existiert. Oder anders ausgedrückt, es ist schlichtweg eine gesondert wundervolle Erfahrung, sich in einem solchen Rahmen zur Abwechslung einmal gänzlich ungetrübt bzw. völlig unbeeinflusst vom eigenen trans*-Hintergrund im Identitätsgeschlecht erleben zu dürfen.

Als Nächstes wiesen erfreulicherweise auch in meinem sonstigen privaten Umfeld alle weiteren Entwicklungen unverändert weiter in eine positive Richtung.

Bei speziell einer meiner beiden „Stamm-Cliquen“ hatte ich mir insofern gerade zu Jahresbeginn sehr wohl eine ganze Zeit ernsthafte Sorgen gemacht, weil in dieser verglichen mit dem Vorjahr selbst mit dem rheinischen Karneval im Anmarsch nahezu keine Unternehmungen mit meiner Beteiligung angeschoben wurden. Doch wie sich später herausstellte, hatte diese als solche von mir registrierte, mangelnde Aktivität nichts mit meiner Person zu tun, sondern war schlichtweg Ausfluss davon, dass die Einzelnen dienstlich und/oder in sonstiger Weise derart im Stress waren, dass Cliquen-technisch in dieser Phase schlicht gar nichts an relevanten Unternehmungen stattfand.

Dass das von den Beteiligten nicht etwa nur beschönigende Worte waren, durfte ich übrigens spätestens daran festmachen, dass ich von einem zu ebenjener Clique gehörenden Pärchen zur deren Hochzeit im Juli ganz offiziell als Frau eingeladen wurde. Mit allem Drum und Dran. Was wiederum im Kontrast dazu stand, dass ich im Sommer des Vorjahres zu einer Hochzeit eines anderen Pärchens im erweiterten Freundeskreis noch ausdrücklich als Mann eingeladen wurde. Obwohl auch diese beiden Brautleute bereits von meinem trans*-Sein und ebenso davon wussten, dass ich unmittelbar vor Abschluss meiner Vornamens- und Personenstandsänderung sowie davor stand, künftig ein allumfassendes Leben in meinem wahren Identitätsgeschlecht zu beginnen. Weswegen das Ganze bei den betreffenden Hochzeitsfeierlichkeiten 2018 rückblickend letztlich schon mit einer relativ eigenartigen Situation für mich ein herging.

Aber selbstredend bekam ich es an jenem Sommertag zum einen dann ja doch wunschgemäß einmal mehr hin, unauffällig und ganz wie gewohnt „den Mann zu geben“. Und zum anderen wusste ich es alleine durch diese Erfahrung umso mehr zu schätzen, dieses Jahr ohne derartige Einschränkungen als Frau mit auf die Gästeliste gerutscht zu sein. Auf der im Übrigen natürlich auch Eltern, Großeltern, entfernte Verwandte sowie zugleich von weiter her stammende Freunde des Brautpaares standen und und und…

Sprich, gerade das Sich-Willkommen-Fühlen zu solch bedeutsamen Anlässen (von denen manche freilich trauriger Natur sind, wie z. B. Beerdigungen) sind es doch, die nach meiner Auffassung Ausdruck von wahrer Teilhabe sind und dafür, dass du in deinem sozialen Umfeld als Transmensch jenseits von sonstigen, schnell daher gesagten schönen Worten akzeptiert wirst. Ich finde es jedenfalls immer schlimm, hier vereinzelt davon lesen zu müssen, dass Manche(r) von Euch sich von alten Freund_innen offenbar Vorbedingungen anhören muss à la „Kannst gerne noch zu uns kommen. Aber bitte in gewohnter Geschlechterrolle. Denn sonst finden wir das peinlich. Und was sollen die Nachbarn denken?!“

Will unter Bezugnahme auf den vorherigen Eintrag in meinen Thread heißen, dass die in der Zwischenzeit wahrgenommenen Distanznahme mir gegenüber von einzelnen Freund_innen im Ergebnis überwiegend tatsächlich mehr Ausdruck einer benötigten Umgewöhnungsphase gewesen zu sein scheint, als dass dies die befürchtete Manifestierung einer von Einzelnen insgeheim empfundenen Ablehnung mir als sichtbarer Transfrau gegenüber oder ähnlichem gewesen wäre.

Ich weiß es in diesem Zusammenhang beispielsweise wahnsinnig zu schätzen, dass gerade die mir seit Kindertagen eng verbundenen männlichen Freunde mir insoweit bis hierhin nicht nur merklich gewogen blieben, sondern dass die Mehrzahl von ihnen es mittlerweile zur Begrüßung und zum Abschied insbesondere nicht mehr mit so einer (wenn ihr wisst, was ich meine) „Männer-Handshake-Umarmung“ bewenden lässt, sondern sie mich –ganz wie die anderen Mädels der Clique auch – dann mal kurz so richtig in den Arm nehmen. Denn das ist für mich exemplarisch eine dieser vordergründig total schlichten Mann-zu-Frau-Gesten, die dennoch manchmal echt mehr zu sagen vermögen als viele Worte.

Nur übertroffen von folgender Erfahrung, die ich Euch ebenfalls nicht vorenthalten möchte: Wir haben in meiner Stamm-Clique ein Pärchen, das sich trotz zweier gemeinsamer kleiner Kinder vor wenigen Jahren (für uns Außenstehende recht plötzlich) trennte und zwischenzeitlich scheiden ließ. Dabei blieben wir anderen in der Clique allesamt auch nach der Scheidung mit Beiden gut befreundet und die Kinder (die Tochter geht derzeit noch in die 4. Klasse, der Sohnemann ist dieses Jahr nach den Sommerferien eingeschult worden) leben nunmehr in wechselnden Abständen entweder bei Mama oder Papa. Wobei beide Elternteile jeweils bis heute wenige hundert Meter entfernt in demselben Dorf wohnen geblieben sind, in dem ich selbst aufgewachsen bin und in dem mein Elternhaus steht.

Das Besondere daran ist, dass in meinen Freundeskreisen einzig diese beiden Kinder alt genug sind, um „ihn“ zuvor noch bewusst kennengelernt zu haben. Der aus den anderen Partnerschaften meiner Cliquen hervorgegangene Nachwuchs war im Zeitpunkt der Umwälzungen im Vorjahr demgegenüber so jung, dass der sich absehbar später bestenfalls ausschließlich als Frau an mich erinnern wird.

Insofern hatte ich mir zugegeben schon eine Weile lang verunsichert die Frage gestellt, was in den kindlichen Köpfen jener beiden Sprösslinge wohl vorgehen mag, seit sie hautnah mitbekamen, dass jener (ich nenne es mal) vertraute Freund der Familie plötzlich nicht mehr als Mann, sondern entsprechend nur noch als Frau in Erscheinung trat.

In dieser Hinsicht kann ich heute stolz berichten, dass sich ein durch und durch positiver Befund ergab. Was ich indes mehr als alles andere entscheidend auf die Einflussnahme der mir beide seit jeher wohlgesonnenen Eltern zurückführe. Denn wenn nur einer von den Beiden ein echtes Problem mit mir nach meinem Coming-out gehabt und gegen mich gehetzt hätte, wäre es sicher nicht zu der nachfolgenden Geschichte gekommen.

So richtete Bianca, die Mutter der Kinder, Mitte des Jahres bei sich zu Hause einen weiteren dieser „klassischen“ Mädelsabende aus. Und bevor die Kids abends ins Bett geschickt wurden, die an dem Tag zufällig bei ihr weilten, war ich echt baff zu sehen, wie zugeneigt die sich gerade mir gegenüber verhielten. Ihre Tochter warb mitunter geradezu um meine Aufmerksamkeit und der Sohn hüpfte mir beim gemeinsamen Abendessen ganz plötzlich unbeschwert zum Kuscheln auf meinen Schoss. Ich erinnere mich nämlich noch lebhaft daran, dass selbiger Sohnemann mich keck in die Schulter boxte, als ich Mitte des Vorjahres das letzte Mal äußerlich als Mann bei seinem Papa im Wohnzimmer saß.

Wie mir Bianca, nachdem sie die Kinder ins Bett gebracht hatte, weitererzählte, war im Zuge der Bekanntgabe der Abendplanung samt Gästeliste gegenüber ihrer Tochter noch vor unserem Eintreffen in jedem Fall offenbar noch folgender, für mich bemerkenswerter Dialog zustande gekommen:

(Tochter) O.: „Oh, ist das DIE Sonja, die letztens auch auf Andreas Geburtstag war?“
(Mama) B.: „Ja, genau die.“
O.: „Cool!“
B.: „Du weißt aber schon, wie das ist mit der Sonja, oder?“
O.: „Ja, die ist zwar als Junge geboren, hat sich aber immer schon wie ein Mädchen gefühlt.“

Als ich das hörte, war ich ungelogen einen Moment total gerührt. Denn so groß die Vorzüge der weitläufig verbreiteten „im falschen Körper“-Kurzmetapher für TI auch sein mögen, es ist doch vielmehr exakt das, was diese gerade mal Zehnjährige in die vorstehende empathische Feststellung gefasst hat, worum es uns allen geht, oder?

Ich mag nach unseren gesellschaftlichen Anschauungen selbst nie besondere Errungenschaften vorweisen können und, im Gegenteil, letztlich in vielerlei Hinsicht scheitern im Leben. Doch es ist ein echt tolles Gefühl, insofern augenscheinlich dafür gesorgt zu haben, dass immerhin diese beiden Kinder auf einem in jeder Hinsicht (!) typischen Dorf schon mit einer Transperson im Bekanntenkreis aufwachsen und Menschen wie mich als sehr wohl geachteten und bereichernden Teil unserer Bevölkerung begreifen. Schließlich ist das etwas, dass das eigene bescheidene Dasein überdauern wird und später eine Bastion bilden kann gegen den rechten Rand, nach dem es offensichtlich irgendeinem anatomisch völkischen Ideal entsprechend nur biologische Männer und Frauen geben darf und der Rest [na ja, ihr wisst schon angeblich was und wo…] gehört.

Um diesen abermals ein bisschen lang geratenen Beitrag zu Ende zu führen, lasst mich überdies Folgendes festhalten: Zwar verblasst die Erinnerung daran, doch ich entsinne mich sehr wohl noch gut an den Zeitraum, wo ich tunlichst nicht von mir bekannten Menschen en-femme „erwischt“ werden wollte. Um angesichts der zu erwartenden Mitteilungskette der Sorte „Wenn X das mitbekommt, dann spricht er bestimmt mit Y darüber und die sagt es Z…“ usw. das Heft des Handeln vor allem nicht etwa ausgerechnet in jener kritischen Übergangsphase meines Weges hin zu einem allumfassenden Leben im Identitätsgeschlecht aus der Hand zu geben.

Ich möchte ferner würdigen, dass ich im Nachhinein bei meiner Transition bis hierhin auch sonst schlicht viel Glück gehabt habe. Schließlich stieß ich wider Erwarten selbst bei meinem Vater auf ungeahnte Akzeptanz. Mag dafür rückblickend auch lediglich die Basis bereitet haben, dass er mich als früheren Sohn – offen gesagt, wie den Rest der gegründeten Familie – nun nicht allzu sonderlich wertschätzte und es deswegen vergleichsweise leicht gefallen sein mag, von „ihm“ Abschied zu nehmen. Nichtdestotrotz finde ich es schön, dass wir, ich und mein Vater, z. B. bis heute regelmäßig gemeinsam Fußball schauen, obwohl ich heute doch durchgehend so anders ausschaue, wirke und klinge als früher. Plus, ich bekomme schon regelmäßig mit, dass er auch in seinem Freundes- und Bekanntenkreis zu mir steht und nicht etwa der Versuchung erlag zu versuchen, die Entwicklungen in dieser Sphäre peinlich berührt verbal unter den Teppich zu kehren oder ähnliches.

Ich nehme außerdem an, dass eine Cisperson uns Transmenschen kaum nachfühlen kann, wie es ist, ein Leben im Geburtsgeschlecht mit allen Konsequenzen aufzugeben, wie wir das bekanntlich in nicht geringer Anzahl tun. Und schäme mich nicht, dass ich selbst letztes Jahr noch verbliebene Zweifel hatte, ob diese nachhaltige Schaffung von Fakten (in Richtung, wie es bei uns im Gendertreff üblicherweise gerne genannt wird, „Frau in Vollzeit“) für mich persönlich denn wirklich der richtige Schritt war. In diesem Kontext kann ich Euch hier jedoch abschließend versichern, die Entscheidung für ein „24/7“-Leben als Frau bis heute nie bereut zu haben.

Am meisten liebe ich es nicht zuletzt, dass mich meine vertrauten Mitmenschen heute ausschließlich mit Anreden wie „Liebe Sonja“, „Hey Süße“ oder „Hallo meine Liebe“ anschreiben. Außerdem freue ich mich gefühlt jedes Mal wie am ersten Tag, wenn ich im Alltag von Fremden wieder eine Referenz mit „…die Dame“ zu hören kriege.

Will heißen, die gewissen Lebensumstände, die mir unverändert aufs Gemüt schlagen, die haben offen und ehrlich nichts mehr mit meiner gelebten Geschlechterrolle zu tun. Im Gegenteil, nie waren mir im Kleinen mehr schöne Momente vergönnt, als seit ich mir konsequent das Ausleben meines weiblichen Identitätsgeschlechts zugestanden habe, danach lebe und dazu stehe.

Kommt mir vorab allesamt heil auch über die nächste heranrückende Jahreswende, liebe Foren-Gemeinde, und vergesst in Anlehnung eines Beispiels wie meinem zu guter Letzt bitte nie, was für Transpersonen an ursprünglich gefühlt Unmöglichem doch zu in der Seele gut tuender Wirklichkeit werden kann.

Bis demnächst!

Eure Sonja

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Manuelas Erlebnisse (3)

Autorin: Manuela

Den Termin beim ersten Gutachter habe ich nun hinter mir. Zur Begrüßung stellte ich mich mit Manuela M. vor. Ich war elegant gekleidet, hatte einen Minirock, Thermostrumpfhose, Stiefel und einen pinkfarbenen Pulli an, drüber einen Kurzmantel und einen Loop-Schal. Die Schminke war dezent, der Bartschatten gut abgedeckt. Es war emotional sehr anstrengend. Die Begutachtung dauerte 2 Stunden. Ich habe alles erzählt und wir haben uns gegenseitig Fragen gestellt. Es war kein Spaziergang, aber ich bin gefühlsmäßig immer bei mir geblieben. Nach 2 Stunden sagte der Gutachter, dass er einen positiven Bericht ans Gericht senden wird. Puh, das erste Gutachten habe ich so gut wie in der Tasche.

Bis das Gericht den 2. Gutachter findet werden wohl noch einige Monate vergehen. Das ist auch gut so. Ich habe einige Tage gebraucht, um mich von der ersten Begutachtung zu erholen.

Wie wichtig es ist, die Therapeuten für die Begleitende Transtherapie gut heraus zu suchen hat sich in meinem Fall gezeigt. Ich habe schon die Hälfte der Begleitenden Therapie hinter mir und bin froh, wenn die Sache im Juni 2020 erledigt ist. Diese Therapeutin ist eine einzige Katastrophe. Danach gehe ich wieder zu der Therapeutin in der psychiatrischen Institutsambulanz, bei der ich im Vorfeld schon einige Monate war. Es ist eine ganz junge sehr engagierte Psychologin, die extra wegen mir nach Freiburg in die Uniklinik gefahren ist, um sich über das Thema Trans* zu informieren. Wenn sie sich einmal selbständig macht, werde ich jede Mühe auf mich nehmen um weiter von ihr behandelt zu werden. Die ist tausendmal besser als die Therapeutin, bei der ich die Begleitende Therapie mache.

Was ich Schei*e finde, ist, dass es weder für Gutachter noch für Gerichte einheitliche Vorschriften gibt, wie sie solche Verfahren abarbeiten müssten. Ich habe dem Gericht alle Unterlagen zur Verfügung gestellt. Das Gericht hielt es nicht für notwendig, die Unterlagen dem Gutachter zur Verfügung zu stellen. Damit hatte ich schon gerechnet und den ganzen Ordner mit zum Gutachter genommen. Der war sehr froh darüber.

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Zehn Jahre

Autorin: Marina

 

Liebe Leser_innen,

heute auf dem Weg nach Hause ging mir so einige Dinge durch den Kopf. Vor allem fiel mir auf, dass ich den genauen Tag, an dem ich genau 10 Jahre hier im Gendertreff-Forum bin, um fünf Tage verpasst habe.

Nichtsdestotrotz, am 12.12.2009 um exakt 19:30 Uhr habe ich damals eine Anmeldung hier abgeschickt. Durch die Softwareumstellung ist dieses leider nicht mehr sichtbar.

10 Jahre … und wenn ich so darüber nachdenke, frage ich mich wo ist all die Zeit geblieben? Denn diese 10 Jahre waren die intensivsten meines ganzen Lebens. Aus heutiger Sicht muss ich mich selbst fragen, wie ich mein altes Leben überhaupt ertragen konnte. Aus heutiger Sicht war mein altes Leben öde, leer und ohne Sinn.

10 Jahre in denen ich endlich erleben durfte, was wahre Freundschaft ist. Das man mich um meiner Selbst mag, ohne Hintergedanken, ohne den Versuch mich und meine Gutmütigkeit auszunutzen.

Jahre in denen ich endlich verstand, warum und wie ich „anders“ bin, als alle anderen. Und vor allem, dass ich nicht alleine bin, in diesem „anders sein“. Ich habe Menschen getroffen, deren Lebensgeschichte fast eine 1:1 Kopie der meinigen ist, sodass man meinen könnte, wir wären Zwillingsschwestern. Ich habe gelernt, dass ich mich nicht verstecken muss. Im Gegenteil, ich kann erhobenen Hauptes so leben, wie ich es möchte.

10 Jahre in denen ich das weiter geben konnte, was ich selbst über mich selbst gelernt habe und allem was damit verbunden ist. Ich habe anderen geholfen auch zu sich selbst zu finden.

10 Jahre in denen ich viele kommen und gehen gesehen habe. Bei manchen war es vielleicht gut, dass sie wieder gingen; bei anderen war es doch traurig. Eine liebe Freundin hat der Sensenmann geholt, eine andere lebt jetzt im Altersheim und ist dement. Aber all das ist wohl einfach das Leben.

Leben … lebe! Denn es ist nie zu spät damit anzufangen!

Und damit möchte ich auch gleich das nächste Jubiläum ankündigen:
Wenn wir am 19.1.2020 wieder unseren Gendertreff Düsseldorf im Café Süd abhalten, so ist das gleichzeitig auch mein zehnjähriges Jubiläum der Teilnahme an den Selbsthilfetreffen. Es begann damals im Café Süd und nach zehn Jahren ist es wieder dort. Und so schließt sich der Kreis.

Liebe Grüße
Marina

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Anna-Biancas Update

Autorin: Anna-Bianca

Auch bei mir hat es „klick“ gemacht. Endlich kann ich da fortsetzen wo ich schon einmal war. Andreas ist für mich endgültig Geschichte, es gibt nur noch Anna. Nach der schweren Zeit zu Beginn des Jahres scheinen einige Synapsen wieder richtig geschaltet zu sein. Der operative Marathon ist beendet und nur noch eine sehr schmerzhafte Erinnerung. Nachdem ich ein paar Kilos zulegen konnte nähere ich mich einem gesunden Erscheinungsbild mit dem auch meine Ärzte zufrieden sind. Ich habe in der Zwischenzeit meine Ernährung wieder auf Vollkost umgestellt, muss aber noch auf ein paar Dinge achten. Durch meinen Freund ist wieder eine gewisse Stabilität vorhanden und ich lerne immer mehr mich selbst auch zu schätzen und zu schützen. Im Spiegel sehe ich nur noch die Anna, klar und deutlich. Die Zweifel die ich hatte sind weg und einem unheimlich starken Selbstbewusstsein gewichen. Ich sehe mich nicht mehr als trans* oder „zwischen den Stühlen“ sondern ganz klar als Frau. Meine Veränderung ist auch vielen Menschen aus meinem Umfeld aufgefallen, und dort erfahre ich eine Menge Unterstützung und Anerkennung.

Sicher wird die bald folgende Reha mich ein ganzes Stück weiter stabilisieren, aber ich kann jetzt schon Menschen in einer ähnlichen Situation helfen und ihnen Mut machen. Es ist einfach nur eine unendliche Dankbarkeit in mir dass ich diese ganze Geschichte mit einem für mich guten Ausgang beenden kann.

Ich kann nur Allen Mut machen die vor oder in schlimmen Situationen leben: Gebt niemals auf, seid einfach auch einmal schwach. Nehmt Euch die Zeit und Ruhe die Ihr braucht. Auch Ihr könnt nicht die ganze Welt retten, aber Euch selbst. Darauf kommt es am Ende an: Es geht um Euch selbst und niemand anderes. Geht kleine Schritte, findet Euer eigenes Tempo.

Alles Liebe wünscht Eure Anna-Bianca

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Xenias Geburtsfehler

Autoren: Daniel (PULS das Gesundheitsmagazin) und Xenia (Gendertreff e.V.)

 

Eine redaktionelle Aufarbeitung meiner ca. 80-seitigen Dokumentation. Verfasst, geschrieben und genehmigt vom Magazin PULS, dem Gesundheitsmagazin für das Bergische Land.

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Manuelas Erlebnisse (2)

Autorin: Manuela

Ich freue mich, denn ich bin wieder ein Schritt weiter. Gestern Abend war der nächste Termin beim Endokrinologen. Ich wurde als Frau M. aufgerufen. Das war eine besondere Streicheleinheit für meine Seele. Das Ergebnis der Blutwerte war OK und auch die Nieren und die Leber sowie der Lungenfunktionstest waren in Ordnung. Manche fragen sich nun vielleicht, weshalb man einen Lungenfunktionstest bei einer gegengeschlechtlichen Hormonbehandlung braucht. Da bei der Hormonbehandlung auch schwerwiegende Nebenwirkungen wie eine Lungenembolie auftreten können ist diese Untersuchung gar nicht so abwegig. Das weitere Arztgespräch war eine sehr gute Aufklärung über Risiken und Nebenwirkungen der Hormonbehandlung, wie z.B. Thrombose oder Brustkrebs. Besonders praktisch ist, dass der Endokrinologe gemeinsam mit seiner Frau und einem angestellten Arzt die Praxis betreibt und ich dadurch gleich noch eine neue Hausärztin gefunden habe. Nachdem meine Therapeutin nun doch die Indikation vorgelegt hatte, bekam ich das Rezept für den Testosteronblocker und das Estradiol. Da ich im ländlichen Raum als Transfrau eine Exotin bin, musste die Apotheke die Medikamente bestellen. Die kommen heute Mittag um 14 Uhr. Dann kann die Behandlung noch heute Abend begonnen werden. Den nächsten Termin für die Kontrolluntersuchung habe ich auch schon in der Tasche. Ich habe meine Frau darauf vorbereitet, dass es zu weiteren Nebenwirkungen kommen kann wie z.B. Stimmungsschwankungen.

Anfang November habe ich den nächsten Therapietermin. Dann bekomme ich eine Gutachterliste und stelle den Antrag auf PÄ/VÄ beim zuständigen Amtsgericht. Wenn ich Glück habe, werde ich im Dezember/Januar eine Anhörung beim Gericht bekommen und 2020 die Gutachtertermine durchziehen. Wenn alles gut geht und irgendwann der Gerichtsbeschluss vorliegt, beginnt die Ochsentour, Bürgerbüro, Standesamt, Führerscheinstelle, Krankenkasse, Rentenversicherung, Grundbuchamt etc., aber das ist im Moment noch Zukunftsmusik.

Da die Klinik, in der ich die vaginoide Geschlechtsangleichung machen lassen möchte, darauf besteht, dass die Hormonbehandlung mindestens 8 Monate lang durchgeführt wurde, werde ich Mitte 2020 einen Beratungstermin in der Klinik vereinbaren. Die haben eine Wartezeit für die GaOP von ca. 6 Monaten. Was mir noch Kopfzerbrechen bereitet ist die Haarepilation, denn bei meinen grauen Haaren wird das sehr schmerzhaft, weil nur die Elektronadelepilation bei grauen Haaren dauerhaft wirksam ist.

Ich schwimme nun nicht mehr hilflos, orientierungslos in einem Ozean sondern ich habe nun einen klaren Fahrplan und ein klares Ziel und ich werde dieses Ziel erreichen.

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Manuelas Erlebnisse

Autorin: Manuela

Ja, wo fange ich an. Den Weg von der Geburt bis zur gelebten Transidentität kennt eh jede_r. Der Beginn meiner gelebten Transidentität war vor 6 Monaten. Ich war sowieso gerade wegen meiner Eheprobleme in der Psychiatrischen Institutsambulanz. Da kam auch das Thema Transidentität auf den Tisch. Ich wurde so mutig, dass ich schon 6 Monate vor Beginn der Begleitenden Therapie bei Transsexualität komplett als transidente Frau lebte. Zuerst mal nicht mehr heimlich als Frau in der Nacht gelebt, sondern auch tagsüber. Das war einerseits eine richtige Befreiung, andererseits war da auch eine gewisse Euphorie. Etwa 4 Wochen später bemerkte ich, dass meine starken Depressionen plötzlich geringer wurden.

Anfangs war es für mich ungewohnt, die irritierten Blicke der Mitmenschen zu ertragen. Was sahen die in mir? Einen Mann in Frauenkleidern? Ich entschloss mich, nun regelmäßig zu unterschiedlichen Zeiten in unserer Kleinstadt als Transfrau gesehen zu werden. Mit der Zeit gewöhnte sich der Ort daran. Es reichte mir nicht, nur als Mann in Frauenkleidern gesehen zu werden. Ich wollte als Frau gesehen werden. Schnell war klar, es gehört auch eine Änderung des Sozialverhaltens dazu und eine etwas höhere Stimme. Störend ist nun nur noch der Bartschatten und dass ich noch keine Angleichung habe.

Ich lerne mich zu schminken und besuchte einen Schminkkurs zum Thema „smokey eyes“. Das war die Königsdisziplin für mich. Nun erteile ich meiner weiblichen Umgebung sogar Schminktipps, die von Frau gerne angenommen werden.

Das Outing gegenüber meiner Frau liegt schon viele Jahre zurück, aber nun war auch das Outing in der Öffentlichkeit und gegenüber Ärzten und Behörden dran. Den Anfang machte ich bei der Verkehrsbehörde. Eines Tages kam ein Schreiben ins Haus geflattert, mit der Aufforderung wegen Geschwindigkeitsübertretung 25 Euro zu bezahlen sowie eine Zeugenaussage zu machen, wer denn die weibliche Frau in meinem Auto ist.  Ich bezahlte das Verwarnungsgeld als Mann weil mein Konto ja noch nicht umgeschrieben werden kann. Dann zog ich mir meinen knappen Minirock und ein ebenso knappes Oberteil an und spazierte in die Verkehrsbehörde. Dort erklärte ich mich, dass ich transident bin und die Frau auf dem Foto die Manuela und damit ich selbst bin. Große irritierte Augen schauten mich an. Stotternd kam die Aussage: so etwas hatte ich in meinem ganzen Berufsleben noch nicht. Ich fand das toll, mein erstes Outing gegenüber einer Behörde war erfolgreich.

Das Outing beim Rheumatologen war keiner Rede wert. Dort werde ich auch als Frau Manuela angesprochen. Anders beim Zahnarzt. Er und die Sprechstundenhilfe sprechen mich mit meinem männlichen Namen an. Das stört mich, aber ohne weiblichen Pass habe ich erst mal kein Recht auf eine weibliche Anrede. Trotzdem mache ich mir einen Spaß daraus, die verdutzen Gesichter im Wartezimmer zu sehen, wenn ich als Frau da sitze und als Mann aufgerufen werde. Besonders lustig war es, als ich mit meiner Frau gemeinsam einen Termin beim Zahnarzt hatte. Mein Passing war super gut. Wir standen beide am Empfangstresen und die Sprechstundenhilfe fragte meine Frau: kommt ihr Mann heute später? Ich musste lachen. Die Sprechstundenhilfe bat darum sich erst an diese neue ungewohnte Situation zu gewöhnen.

Der Hausarzt drehte komplett ab. Er sollte wegen der Begleitenden Therapie irgendeinen Wisch unterschreiben. Ich bat die Sprechstundenhilfe darum, zuerst mit dem Arzt reden zu wollen. Der Arzt hielt das nicht für notwendig und schrieb als Diagnose Depression auf diesen Zettel und übergab ihn mir im Wartezimmer. Ich sah in an, sah auf meinen Minirock und sagte: das ist die falsche Diagnose, da muss drauf stehen, dass ich eine begleitende Therapie wegen Transsexualität brauche. Der Arzt wurde schon leicht rosa im Gesicht. Als ich ihm dann sagte, dass ich ihn vorher sprechen wollte und ich mich nicht ernst genommen fühle wurde er wütend, riss mir den Zettel aus der Hand und schrieb voller Wut das für ihn so schwierige Wort Transsexualität drauf, warf mir den Wisch auf den Rock, drehte sich ohne ein Wort um, ging hinter den Empfangstresen und holte sich die nächste Patientenakte. Im Rauslaufen sagte ich: so ein Idiot, der versaut mir die ganze Therapie. Der Arzt wurde knallrot im Gesicht. Der Gesichtsausdruck machte mir richtig Angst, so dass ich schnellstens aus dieser Praxis flüchtete. Nun suche ich erst mal einen neuen Hausarzt, was hier im ländlichen Raum nicht so einfach ist.

Ich wunderte mich, warum ich bisher noch keiner schwierigen Situation ausgesetzt war. Aha, zu früh gefreut. Im Sommer, es war heiß und ich trug noch eine Perücke, weil meine Haare zu kurz waren. Mit einem Haselnusseis in der Hand schlenderte ich durch die Straße. Vor mir eine Transporter der Post. Hinter mir kam ein Paketbote aus einem Geschäft und sagte: jetzt laufen die Scheiß-Transen hier auch schon rum. Da ich damals noch keine begleitende Therapie hatte war ich mir nicht sicher wie ich darauf reagieren könnte. Ich wollte nicht wie ein Mann reagieren, sonst hätte ich gesagt: scheiß-Hetero. Ich wollte wie eine Frau darauf regieren, hatte aber keine Ahnung wie. Ich konzentrierte mich erst mal auf mein Eis und versuchte das Erlebnis weg zu schlecken. Zuhause angekommen saß ich da mit meinem ganzen Frust. Ich war nicht gefrustet, wegen diesem ungebildeten Rüpel; ich war gefrustet, weil ich als Mann und nicht als Frau wahrgenommen wurde. Da fiel mir ein, dass es bei der Post eine Beschwerdestelle gibt. Ich schrieb mir den Sachverhalt von der Seele und schickte den Brief ab. Mir war klar, dass dabei nichts heraus kommt, Hauptsache war, dass ich meinen Frust erst mal los war. Dennoch war die Sache für mich nicht erledigt. Wie hätte ich besser reagieren können? Ich hätte mit der Warum-Frage antworten können: warum sind sie so zu mir; ich habe ihnen doch gar nichts getan. Das hätte zwar dazu geführt, dass ein weiterer unqualifizierter Kommentar gekommen wäre, aber die Warum-Frage nagt am Gewissen des Gegenübers. Das wäre effektiver gewesen.

Zwischenzeitlich habe ich die ersten Termine in der begleitenden Therapie gehabt. Im Oktober habe ich einen Termin beim Endokrinologen und dann entscheidet es sich, ob ich eine HRT beginnen kann. Leider ist das aufgrund meiner Leber nicht ganz sicher.

Soweit erst mal zu den Erlebnissen der letzten 6 Monate. Aktuell besteht immer noch das Problem Ehe. Ich kenne viele Transfrauen, die krampfhaft versuchen am letzten sozialen Kontakt festzuhalten. Ich bin gerade an einem Punkt, an dem ich mir unsicher bin, ob ich die Beziehung beende oder ob es als gleichgeschlechtliche Beziehung später noch eine Chance hat. Das ist im Moment noch offen und auf meinem transidenten Weg die größte Baustelle.

Zwischenzeitlich kam mir die Idee, es anderen gleich zu tun und einen dgti-Ergänzungsausweis zu beantragen. Das war dankenswerter Weise ein Fehler. Erst mal Antrag ausgefüllt und abgeschickt. Dann zur Bank, und den Ergänzungsausweis bezahlt, den Nachweis bei der dgti eingereicht. Monate nichts gehört, reklamiert und dann erfahre ich, dass der Antrag verloren gegangen sei. Also erneut Antrag gestellt und die Nachricht erhalten, dass der Ausweis zum Druck freigegeben wäre. Wieder passierte nichts, wieder reklamiert, wieder die Behauptung, dass kein Zahlungseingang feststellbar wäre, obwohl die Nachricht über den Zahlungseingang bei der dgti vorlag. Das fand ich unseriös und verzichtete auf den Ausweis. Das war eine gute Entscheidung, denn nun konnte ich üben, mich als transidente Frau selbst zu erklären, was das Selbstbewusstsein enorm gesteigert hat. Dafür kann ich der dgti sogar dankbar sein.

Sobald meine HRT beginnt und ich sie gut vertrage, werde ich noch die PÄ/VÄ beantragen. Ich habe mir schon Gutachter herausgesucht, aber das wird mir nicht viel nützen, denn das für mich zuständige Amtsgericht ist bekannt dafür, dass sie selbst den Gutachter bestimmen. Durch den Besuch einer Selbsthilfegruppe konnte ich schon so manchen Trick von Gutachtern entlarven, so dass ich mich mit Hilfe meines Trans-Lebenslaufs gut auf die kommenden Gutachtertermine vorbereiten kann.

Grr. jetzt bin ich aber sauer. Die Gründerin der Selbsthilfegruppe nahm nur mit ausgesuchten 3 Personen an der Demonstration Trans Pride teil. Ich bin deshalb sauer, weil ich sowieso öffentlich als Frau lebe und gerne an dieser Demo teilgenommen hätte. Die werde ich mir demnächst mal vorknöpfen. Entweder sie sagt es allen in der SHG, oder keiner geht hin, basta.

Bisher habe ich jedenfalls überwiegend positive Erfahrungen als Frau gemacht, einerseits in der Gesellschaft, andererseits bin ich plötzlich ruhiger und nicht mehr gewalttätig wie in der Zeit, als ich die Transidentität noch nicht akzeptieren konnte. Einzig und allein bleibt nun noch das Thema Ungeduld. Am liebsten wäre es mir, wenn ich morgen schon mit allem durch wäre.

 

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Johanna: „Mein Leben mit beiden Geschlechtern“

Johanna aus dem Gendertreff-Forum berichtet in einem Beitrag über ihren Werdegang und ihr Leben mit beiden Geschlechtern.

Hallo Community,

hier will ich mal ein wenig meine seelischen Aufs und Abs während meiner nun über 30 jahren dauernden Trans*-Findung rüberbringen. Dies mache ich auch, damit jede/-r, der/die hier liest erkennt, dass mir mein Leben nicht so in den Schoß gefallen ist, wie sich das heute so liest. Der Bericht erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, da ich mich nicht an jede Einzelheit meiner Vergangenheit so deutlich erinnern kann, um das dann hier gut rüberzubringen.

Zuerst mal, ich wohnte und wohne immer noch in einem kleinen Dorf am linken Niederrhein mit einer katholischen Erziehung, wozu auch gehörte, sonntags zur Kirche zu gehen, im Sonntagsstaat, versteht sich. Und ich bin in einer wohlbehüteten Kinheit erwachsen geworden. Eigene Gedanken wurden oft niedergeredet, wenn sich das Andere, Eltern, mein bruder oder Verwandte, nicht vorstellen konnten oder es nicht in ihr Weltbild passte. So hatte ich mal eine Phase, in der ich farbige Stoffhosen trug, mal in blau, mal in grün, mal in gelb oder auch in orange. Das konnte irgendwie niemand verstehen. Es wurde zwar zugelassen, aber ich denke, nur deshalb, weil jeder meinte, ‚das ist eine Phase, das legt sich wieder‘.

Dann reifte in mir so langsam der Gedanke, dass da etwas mit mir nicht so war, wie es bislang den Anschein hatte.

Zu Beginn meiner Transition war da zunächst der immer deutlicher werdende Gedanke, irgendwas ist da in mir, das ich zu dem Zeitpunkt nicht erklären konnte. Ich stellte die Bekleidungsstereotypen für Mann/Frau in Frage. So nach dem Motto, ‚Warum dürfen Frauen Hosen tragen, aber Männer keine Röcke?‘ Zu Beginn wußte ich noch nicht einmal, dass ich auf einem transidenten Weg war.

Trotzdem fing ich an mich auszuprobieren. In der Öffentlichkeit suchte ich mir eine „Bühne“, die unverfänglich erschien, den Karneval. Hier konnte ich mich zum ersten Mal weiblich kleiden, ohne dass ‚dumme‘ Fragen gestellt würden.

Aber ich merkte recht bald, dass mir das nicht reichte. Für mich war an Aschermittwoch eben nicht alles vorbei. Tja, und damit begann die Findungsphase erst richtig. Und natürlich auch das Versteckspiel. Ja, auch ich wollte natürlich nicht, dass man mich weiblich erwischte. Ich wußte ja noch nicht einmal selbst, was mit mir los war, wie hätte ich das Anderen erklären können.

Ich suchte mir immer wieder Nischen, um meine weibliche Seite zu leben, an Orten oder in Situationen, wo ich nicht von Anderen dabei erwischt werden könnte. Ich hatte natürlich auch lange Zeit die Angst, erwischt zu werden. Ich kann daher ja auch jede/-n verstehen, der/die in solchen Ängsten lebt.

Es war ein langer Weg zu mir von kurz nach dem Volljährig werden bis hin zum Jahr 2010, wo ich mich nach und nach immer mehr mit meiner weiblichen Seite verbunden fühlte. Ich hatte oft Zweifel, ob ich das Richtige tue oder ob ich vielleicht einfach nur verrückt bin. Anfangs dachte ich auch nur, es ist eine Phase, das gibt sich wieder. Aber ich mußte auch feststellen, es blieb und es wurde immer stärker.

Wenn ich manchmal in Gedanken zurückblicke, erkenne ich so manche Situation, die heute von so manchem als peinliche Begebenheit gesehen würde. Und im Rückblick erwische ich mich dann dabei, wie ich über solche Situationen selbst ins Schmunzeln gerate.

So beispielsweise als ich über die Bundeswehr eine zweite Ausbildung machen konnte und dabei in einer Kaserne in Münster wohnen konnte.

Dort hatte ich eine eigene Stube, aber das Klo war natürlich am anderen Ende des langen Gebäudeflurs. Und wenn ich dann in meiner Stube weiblich gekleidet war und mal „mußte“, dann habe ich meine Weiblichkeit unter anderen Klamotten versteckt, um nicht ‚aufzufliegen‘. Also aus Angst, erwischt zu werden, kommt der menschliche Geist schon auf recht kuriose Gedanken.

Als ich dann ab 2010 immer mehr zu mir stehen konnte und dann auch begonnen habe, mich mehr und mehr nach außen zu geben, wie ich bin, fielen die Ängste immer mehr wie Kartenhäuser in sich zusammen. Aber ein Weg, der etwa 30 Jahre in Anspruch genommen hat, zeigt, wie lange es dauern kann, bis man mit sich ins Reine gekommen ist, bzw. bei sich angekommen ist.

Ein Aspekt darf hier nicht unerwähnt bleiben. Ich lebe bis heute mit meiner Mutter zusammen. Früher im Haus der Eltern und Großeltern, seit einigen Jahren in einer Mietwohnung. Ja, und meine Mutter, Jahrgang 1939, war natürlich auch recht katholisch erzogen. Der sonntägliche Kirchgang gehörte für sie einfach zum Leben dazu, und das bis heute. Und im Laufe meiner Findungsphase nahm natürlich der Bestand an Frauenkleidung bei mir immer mehr zu. Das blieb meiner Mutter nicht verborgen. Und wenn sie über diese Kleidung sprach, bezeichnete sie diese immer als die anderen Klamotten, da ich ja ihr Sohn bin und damit gehörten die weiblichen Klamotten nicht zu mir. Vor ihr habe ich mich nie geoutet. Gut, ein richtiges Outing habe ich ja sowieso nie gemacht. Aber sie hat meine weiblichen Klamotten nie akzeptiert. Mittlerweile glaube ich, dass sie die Klamotten zumindest toleriert, da ich ja sonst in ihren Augen ein gutes Leben führe.

In der ganzen Zeit hatte ich übrigens weder einen Psychologen noch einen Therapeuten, ich war auf mich allein gestellt. Aber ich hatte wohl das Glück, allein damit fertig zu werden. Umso mehr ist es mir ein Bedürfnis, anderen helfen zu können, die mit ihrer Situation nicht so einfach zurecht kommen.

Der Text ist jetzt doch länger geworden, als ich es gedacht hatte. Aber ich hoffe, damit Anderen auch helfen zu können. Jeder Weg beginnt mit dem ersten Schritt. Und am Anfang, wenn man sich selbst natürlich nicht sicher ist, was los ist, ist es immer schwer. Aber Kopf hoch, am Ende wird es großartig, egal wo das Ende erreicht ist.

Friedlicher Gruß

Johanna L

 

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Abbruch

Autorin: Christiane

Ich habe meine Transition abgebrochen. Ich lebe wieder zu 100% als Mann, und mit meiner Frau und meiner Familie zusammen. Laut meinem Therapeuten existiert sogar eine Bezeichnung für meine Situation: „Trans* Alternativ“

Wie kam es dazu?

Vor etwa einem Monat hatte ich Geburtstag, meinen Ersten. Es war vor einem Jahr Ende Juli, dass ich aus dem Leben gehen wollte und es tatsächlich versucht habe. Meine Ängste waren zu groß, meine Verzweiflung ohne Gleichen. Ich habe überlebt. Mit dem Bewusstsein, dass es so nicht weiter gehen kann und sich etwas ändern muss.

Durch die Selbsthilfegruppe, den Dialog mit anderen Betroffenen und vor allem durch das aktive Ausleben, habe ich gelernt, dass ein Großteil dieser Ängste selbstgemacht und unbegründet ist. Dabei haben mir besonders Mitglieder des Gendertreff geholfen, insbesondere Marina, aber auch Rita, Steffi, Xenia und viele andere, die mir geschrieben und Mut zugesprochen haben. Jedoch besteht ein nicht vernachlässigbarer Anteil an realen Ängsten.

Ich habe eine Familie, zwei wunderbare Kinder, eine Frau die mich liebt, wie ich schmerzhaft erfahren musste nicht grenzenlos, da sie mit mir als Frau nicht leben kann.

Mir ging es im Laufe der Zeit immer schlechter, vor allem da mir klar wurde, dass eine Transition unweigerlich die Trennung bedeutet. Meine Frau hat für sich ganz klar entschieden, dass sie den Weg mit mir nicht gehen kann, sie kann mir bestenfalls als gute Freundin beistehen.

Das Märchen von unendlicher und grenzenloser Liebe hatte ich lange für mich aufrecht erhalten und musste schmerzlich feststellen dass die Liebe eben nicht grenzenlos ist. Das ist eine naive aber romantische Vorstellung. Ich kann aber durchaus behaupten, dass ich meine Liebe als grenzenlos begreife. Bei meiner Frau ist es anders, und ich kann ihr da keinen Vorwurf machen.

Die Transition stellt einen vor große Schwierigkeiten, von denen ein Teil durchaus lösbar ist, dennoch geht sie nicht ohne Verluste. Mir ist klar, dass ich mein altes Leben nicht mehr leben kann, das ist unmöglich, ich kann aber auch kein Leben ohne meine große Liebe leben. Sicherlich hätte ich durch die Transition einen enormen Gewinn für mein Leben, aber mir ist bewusst geworden, dass dieser Gewinn niemals meine Verluste wird ausgleichen können.

Ganz sachlich betrachtet habe ich eine Gewinn-Verlust-Rechnung erstellt und ausgewertet, und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich die Transition nicht weiter fortführen kann. Durch den Transitionsversuch habe ich vor allem gelernt was möglich ist und was nicht, und da ich zumindest in Teilzeit als Frau gelebt habe, bis auf zu Hause und bei uns im Ort, kann ich durchaus behaupten dass ich weiß, was die Transition bedeutet. Letztendlich sind meine Verluste zu hoch.

Ich hatte immer die Hoffnung, ich könne meine Frau dazu bewegen, den Weg mit mir gemeinsam zu gehen, vor allem da sie bereits seit nahezu 20 Jahren von meiner Transidentität weiß und ich hatte immerzu die Hoffnung, dass die gemeinsame Zeit und die Liebe uns zusammen schweißen würden. In den letzten 2 Jahren hatte ich meine Frau durch die Geschehnisse intensiv mit dem Thema konfrontiert und vor allem seit Ende letzten Jahres vieles voran getrieben. Aber nur ein bisschen Trans geht eben nicht. Ab dem Tag, an dem die Entscheidung fällt, ein Leben als Frau zu führen, verändert sich alles. Und leider ist nicht nur die Gesellschaft binär sondern auch das Leben an sich, so dass eben nur zwischen zwei Geschlechtern unterschieden wird. Zwischen diesen gibt es eine Grenze und selbst wenn es Definitionen von androgyn, non-binär oder ähnlichem gibt, ist der Mensch trotzdem entweder Mann oder Frau. Diese Grenze zu überschreiten bedeutet eine klare Zuordnung. Meine Frau kann diesen Weg nicht mit mir gehen, und ich würde sie verlieren.

Ich hatte gegen Ende meines Transitionsversuches schwer zu kämpfen, war wieder in der Notfall-Ambulanz in der Psychiatrie, nach einer wochenlangen schweren Lebenskrise und Zweifeln an meinem Leben, ebenso an der Möglichkeit, mir Hilfe zu holen. Ich war am Boden zerstört, hielt es noch nicht mal mit meinen Kindern im Kino aus, stand am Abgrund, ging in den Wald, hatte im Schlafzimmer Besuch von der Polizei, die ich letztendlich unter Tavor-Einfluss davon überzeugen konnte, freiwillig in die Klinik zu gehen. Mir ging es also trotz der Transition, aber eben wegen der Gewissheit, alles zu verlieren was mir tatsächlich etwas bedeutet, sehr schlecht. Und all das nur, weil ich meine Frau unendlich liebe und ich dabei war, sie zu verlieren.

Ich hatte Ängste und Panik. Vor allem vor der realen Gefahr, meine Frau zu verlieren, davor dass die Liebe nicht bedingungslos ist, dass da eben Grenzen existieren, da gibt es kein Zurück mehr wenn sie überschritten werden.

In meiner Transition war ich bereits recht weit, meine Coming Outs waren  überwiegend abgeschlossen. Viele Menschen wissen von mir, ich bekam viel Verständnis und Unterstützung aber auch Hass und Ablehnung. Ganz besonders hart waren solche Aussagen wie „Du machst Dich lächerlich“, „Er soll in die Hölle“, „Er ist der Teufel“, genauso auch wie Ekel, und sogar Übelkeit die bei anderen Menschen ausgelöst wurde. Aber ganz besonders die Ablehnung durch meine große Lebensliebe…

Die Transition ist nicht mein Weg. Ich weiß ich bin eine Frau, aber ich kann das nicht leben. Ich kann nicht ohne meinen Lebensmenschen leben. Ich verliere und kann diese Verluste nie wieder wettmachen. Ich habe den Weg der Transition versucht, werde mir niemals mehr vorwerfen können es nicht wenigstens mal versucht zu haben, und mir ist klar geworden das ich ihn trotz der persönlichen Erfolge nicht gehen kann.

Nun kann man sagen, dass mir doch klar sein muss, dass mein altes Leben als Mann nicht mehr funktionieren kann. Das konnte ich in den letzten zwei Jahren beweisen mit 3-monatigem  Psychiatrieaufenthalt wegen schwerer Depression, folgendem schwerem Suizidversuch mit Aufenthalt auf der Intensivstation, daraus folgend die Leistungseinschränkung auch im Job, verbunden mit entsprechenden Folgen zum Beispiel auch finanzieller Art. In den letzten zwei Jahren wurde mein Leben massivst auf den Kopf gestellt. Die Folge war dann die kurzzeitige vollzogene  Trennung von meiner Frau, zunächst innerhalb unseres gemeinsames Hauses und dann der überstürzte Auszug.

Ich bin natürlich immer noch bei meinem Therapeuten, er hat drei Sitzungen gebraucht bis er mich letztendlich in meinem Abbruch unterstützt hat, auch mein Psychiater begrüßt meine  Entscheidung, meine Logopädin findet es auch gut und mutig, die Logopädie habe ich natürlich abgebrochen, die Hormontherapie zunächst reduziert, gegen Ende Juli aber auch ganz abgebrochen, ich verfolge den Kostenübernahmeantrag für die Nadelepi nicht weiter trotz Zusage…

Wie gesagt, mein altes Leben funktioniert nicht mehr, ebenso nicht ein neues Leben. Ich muss nun einen Weg finden, wie ich mit irgendetwas dazwischen klar komme. Ich bin der Überzeugung, der Schlüssel liegt im Umgang mit der Transidentität. Und dieser Umgang ist nun nach all den sich überschlagenden Ereignissen natürlich ein ganz anderer als er früher war.

Ich kann nun offen darüber reden, muss nichts mehr verstecken oder verheimlichen, die Menschen wissen was mit mir los ist, ja ich kann es sogar jederzeit in Grenzen ausleben wenn mir danach ist. Mittlerweile habe ich aber die Erfahrung gemacht, dass dieser Weg auch nicht wirklich einfach ist. Der Mensch denkt nach wie vor binär, und die anfänglich entstandene Verwirrung durch die Coming Outs wird durch den Abbruch noch verstärkt.

Was macht uns denn zu Frauen? Kiloweise Makeup? Hormone? OPs? Weibliche Kleidung? Klar das ist eine Angleichung des Äußeren an unser Inneres, an unsere Identität und an unsere Seele. Aber was ist mit dem Boyfriendlook? Der funktioniert bei uns nicht! Und im Blaumann? Werden wir auch als Mann gesehen. Wir müssen ganz heftig auf weibliche Attribute setzen um von der Gesellschaft auch nur ansatzweise als Frau wahrgenommen zu werden. Morgens in den Spiegel zu schauen und eine Frau zu sehen funktioniert nicht. Und wir werden immer Transfrauen bleiben,  also zumindest bin ich mir da bei mir sicher, bei 1,93m, breiten Schultern und großen Händen. Mir ist bewusst, dass eben sehr viel möglich ist, und wenn erst mal die Hormone jahrelang gewirkt  haben und diverse OPs hinter mir liegen würde mein Passing auch anders sein, aber es wird eben immer das Thema Trans* da sein und höchstwahrscheinlich wird das falsche Gendern niemals  aufhören.

Nein, ich kann den Weg nicht gehen. Ich verliere. Ich bin sogar der Meinung, dass die Transition mein Leben zerstört. Ich hasse meine Transidentität, weil sie so viel Schaden in meinem Leben  angerichtet hat.

Als Betroffene sehe ich mich jedoch in der Pflicht der Aufklärung. Und das ist ungleich schwerer. Wie meinte einer unserer Tennistrainer letztens: „Gott sei Dank, du wirst keine Frau. Du bist doch  ein Mann!“. Natürlich musste ich ihn erst einmal wieder aufklären. Unsere Gesellschaft macht es uns schon extrem schwer. Sie wird sich auch nicht ändern. Sie ist einfach binär und auch ich habe mich immer so gesehen und die meisten von uns stecken sich auch selber in diese Schubladen, denn wie wichtig ist alleine die Personenstandsänderung? Besonders die steht doch für die Unterwerfung unter diese Binärität!

Ich bin eine Frau. In einem hässlichen Männerkörper, den ich ablehne. Damit musste ich mich 40 Jahre abfinden. Damit werde ich mich auch in Zukunft abfinden müssen. Aber ich muss mich nicht mehr verstecken. Ich kann darüber reden. Jederzeit. Ganz offen und wenn es sein muss auch proaktiv. Ich stehe zu dem, wer oder was ich bin. Ich will aufklären, sehe mich auch als Botschafter/in in einem Kampf gegen die Gesellschaft, nur so kann ich etwas bewirken. Auch wenn es ein Kampf gegen Windmühlen ist, kann ich den Menschen zeigen, dass es noch etwas anderes gibt, ohne dass sie mich gleich wegen meines Äußeren verurteilen. Viele sind überrascht, beschränken Glück auf materielle Dinge, verstehen nicht, wie man so empfinden und denken kann, aber ich erzähle dann von mir, von meinem unendlichen Leid und von meiner unendlichen Liebe.

Ich kann nicht sagen, ob und wie lange ich das schaffe. Aber es ist mein einziger Weg. Ich kann nicht nach hinten und nicht nach vorne, ich muss durch die Mitte durch. Ich bekomme Zuspruch  aber auch viel Zweifel, es würde mich irgendwann mit voller Wucht treffen. Mir bleibt nichts anderes übrig als es zu versuchen….

Mir ist es bewusst, dass viele ein Problem damit haben, wie nun meine Entscheidung ist. Es muss nicht immer nur der eine Weg Volldampf nach vorne sein. Es gibt auch noch andere  Möglichkeiten. Klar ich sehe mich als Frau. Aber ich weiß, dass ich den Menschen helfen kann, zu sich selber zu stehen, egal welchen Weg sie für sich wählen. Und ja, es ist eine Wahl. Dass wir so sind ist eine Tatsache, aber was wir daraus machen ist unsere eigene Entscheidung. Ich verstehe die Ängste, die Sorgen, die Panik, die unser Leben beeinflussen. Ich verstehe auch, wie man so  abstürzen kann. Genau hier setzt Selbsthilfe an, eben nicht nur den besten Operateur zu finden oder schnellstmöglich an die Hormone heran zu kommen, sondern auch eine aktive, intensive und  kritische Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten, ohne daran zu verzweifeln und im Suizid zu enden. Das war auch monatelang meine Intention während meiner Besuche in den  Gruppenabenden, quasi seit August `15 bis Mai ´16, mich kritisch mit dem Thema auseinander zu setzen bevor ich irgendwelche Schritte unternehme und nicht nur stur nach vorne zu stürmen.

Viele sagen ich wäre schon so weit und könne nicht mehr zurück, auch damit muss ich mich nun abfinden. Aber ist es nicht toll, dass ich nichts mehr verheimlichen muss? Ich kann darüber reden,  ganz offen. Auch das ist ein Ergebnis meiner Coming Outs, sowohl privat als auch beruflich. Ich kann dafür einstehen, kann gegen Homophobie und Transphobie kämpfen, und dabei auch  irgendwie ich sein, ohne gleichzeitig zu verstören oder zu irritieren.

Ich komme derzeit ganz gut zurecht, mein Leidensdruck hält sich in Grenzen, vor allem dadurch, dass ich die Gewissheit habe, nichts mehr verstecken oder verheimlichen zu müssen. Meine Frau  sieht das natürlich auch und ermutigt mich sogar, mich wieder mit anderen Betroffenen zu treffen und meine Transidentität auch mal auszuleben. Wir haben quasi eine Übereinkunft getroffen, mit was sie einverstanden wäre, aber im Moment habe ich überhaupt keine Lust oder kein Verlangen danach.

Ich hoffe ich habe die Kraft, das so durch zu halten. Ich weiß vor allen Dingen auch, dass ich die Transition jederzeit wieder aufnehmen könnte, wenn ich mich dazu entscheiden sollte, denn ich  habe bereits Erfahrungen gemacht, die mir diese Schritte vereinfachen würden. Das gibt mir Halt und Gewissheit. Natürlich habe ich neue Baustellen, an denen ich jetzt arbeiten muss, aber mein  durch die Transition gewonnenes Selbstvertrauen habe ich behalten und kann es erfolgreich einsetzen.

 

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Erfahrungsbericht Mastek – Große Schnitte

Autor: Jasha

 

Ich berichte, wie es bei mir abgelaufen ist, wie es mir ging, wie ich mich gefühlt habe. Das hat logischerweise keine Allgemeingültigkeit.

Kurz vorneweg: Vorgespräch nach sechs Wochen Wartezeit, Beantragung Kostenübernahme bei der Krankenkasse etwa einen Monat später, Kostenübernahmeerklärung kurz vor Ablauf der Fünf-Wochen-Frist. Am nächsten Tag Terminvereinbarung, OP dann ziemlich genau acht Wochen später.

 

Ich bin am Tag vor der Operation mit dem Zug angereist. Um 11.15 Uhr hatte ich Termin zum abschließenden Gespräch. Da ich ein bisschen Zeitpuffer eingeplant hatte, war ich schon eine Stunde früher im Krankenhaus und durfte gleich den Marathon starten: Anmelden in der Ambulanz der Plastischen Chirurgie, formale stationäre Aufnahme am anderen Ende des Gebäudes, zurück zur Ambulanz, zum Narkosegespräch wieder ans andere Ende des Gebäudes, zurück zur Ambulanz, Arztgespräch in der Ambulanz, zwischendurch noch verschiedene Papiere ausfüllen. Warten musste ich, obwohl deutlich vorm Termin da, kaum und so war ich um 11.15 Uhr schon wieder draußen. Beim Narkosegespräch wurde Blutdruck und Temperatur gemessen, beim Arztgespräch musste ich mich nicht nochmal ausziehen, denn beim Vorgespräch im September war die Brust bereits vermessen worden. Mittags ging ich in die nur 300 oder 400 Meter vom Krankenhaus entfernt gelegene Pension, in der ich mir ein Zimmer reserviert hatte. Den Rest des Tages verbrachte ich damit, mir den Ort anzugucken und einen langen Spaziergang am Rhein zu machen. Aufgeregt war ich gar nicht, Vorfreude war es auch nicht, eher so ein Gefühl, von innerer Ruhe und, dass es das Richtige ist.

Am nächsten Tag (Freitag) sollte ich mich um 9 Uhr auf der Station melden. Dann saß ich erstmal drei Stunden im Aufenthaltsraum, weil der für mich geplante Zimmerplatz doch nicht frei wurde. Mit mir warteten noch andere Patient_innen, eine bekam ihr Zimmer und wurde um kurz vor 12 Uhr Richtung OP gefahren, der andere wurde schon früh auf eine andere Station geschickt. Ich wurde zur Mittagszeit einen Stock höher geschickt, wo der Bettenmanager einen Platz für mich organisiert hatte. Dort sah alles deutlich weniger nach Krankenhaus aus – es war eine der „Wahlstationen“, die normal wohl für die Privatpatienten sind. Diesmal saß ich im Aufenthaltsraum noch nicht mal richtig, da wurde ich abgeholt und kam in ein leeres Zweibettzimmer, das ich das ganze Wochenende für mich alleine haben sollte. Die Schwester brachte mir das OP-Hemd mit schickem Netzhöschen und ich sollte mich gleich umziehen, weil ich bald abgeholt würde. Ich packte schnell meine wenigen Sachen so aus, dass ich hoffte, da nach der OP halbwegs alleine dran zu kommen (also nichts nach ganz oben, ganz unten oder ganz hinten im Schrank) legte Buch, Kopfhörer, Socken (ich hab immer kalte Füße) und Unterhose ins Nachtschränkchen, damit ich da dran kommen würde, bevor ich das erste Mal unter Aufsicht aufstehen darf und wartete. Zwischendurch kam eine Schwesternschülerin rein, klebte mir ein Patientenarmband ans Handgelenk (dabei lief irgendwas schief: Die Schlaufe hatten mindestens den doppelten Umfang meines Handgelenks, es ließ sich nicht mehr öffnen, wir haben es dann mit den verbleibenden 3 mm Klebefläche irgendwie eng gemacht, aber die begrenzte Haltbarkeit war absehbar.) Zudem fragte sie, ob ich etwas zur Beruhigung bräuchte, aber ich war immer noch nicht aufgeregt.

Gegen 13 Uhr holte mich der „Taxifahrer“ ab und weil ich ja alleine im Zimmer war, wurde hinter uns abgeschlossen. Mit dem Aufzug ging es einen Stock runter und um ein paar Kurven, dann war ich im Wartebereich des OP. Dort musste ich schon mal aus den Ärmeln meines OP-Hemds schlüpfen, aber da und an allen weiteren Stationen, die ich wach erlebt habe, haben alle immer darauf geachtet, dass das ja quasi nur noch als Decke auf mir liegende Hemdchen nicht verrutscht. Mir wurde ein Zugang gelegt und gesagt, dass und warum ich mit einem weiteren an der anderen Hand aufwachen werde, ich bekam ein EKG geklebt, eine Blutdruckmanschette kam an den einen Arm und eine Klemme (ich glaube die ist zum Pulsmessen) an den Finger auf der anderen Seite. Dazu wurde noch ein Wärmeschlauch (Schlauch, in den warme Luft gepumpt wurde) um mich und unter meine Bettdecke gelegt. Irgendwann ging es weiter, ich musste vom Bett auf den Tisch klettern, bekam ein Häubchen auf den Kopf, meinen Wärmeschlauch wieder um und eine andere Decke über mich. Wie oft ich während des ganzen Tages nach Name und Geburtsdatum gefragt wurde, weiß ich nicht mehr. In dem nächsten Raum dauerte es wieder, wir flachsten ein bisschen rum, der Monitor spuckte für Blutdruck und Puls einen Lehrbuchwert nach dem anderen aus und mir wurde schon mal eine Infusion angehängt. Ich war wohl für 14 Uhr angesetzt, aber es war ein bisschen Verzug, eine der Schwestern ging zwischendurch mal gucken, wie weit sie waren. Dann kam ein Mann, stellte sich als Narkosearzt vor und leitete die Narkose ein. Ich spürte ein leichtes brennen im Arm, dann setzte meine Erinnerung aus.

Im Aufwachraum wusste ich erst nicht so recht wo ich war. Ich habe ein schwammiges Bild vor mir, dass drei Personen am Fußende meines Betts standen und versuchte das irgendwie in meinen normalen Alltag einzuordnen, irgendwann realisierte ich „Krankenhaus“, fragte mich warum, versuchte zu überlegen, ob ich mich erinnern konnte, wie ich dahin gekommen bin/wo ich zuletzt war. Ich erinnerte mich an Düsseldorf, daran, warum ich nach Düsseldorf wollte, guckte dann mal unter die Decke und sah dort um die Brust einen Gurt, der mit irgendwas unterpolstert war und auf dem ein Totenkopf prangte. Wie lange ich zwischen den einzelnen Gedankenschritten geschlafen oder gedöst habe, kann ich nicht sagen. Die erste Uhrzeit, die ich gehört habe war 16.30 Uhr. Zehn Minuten später wurde ich abgeholt und auf mein Zimmer gebracht. Die Schwester stellte mir Wasser hin, maß den Blutdruck, befestigte Klemmen an den Drainageflaschen und diese damit rechts und links am Bettlaken und ermahnte mich, das erste Mal nicht alleine aufzustehen. Seit 16.30 Uhr war ich auf jeden Fall die ganze Zeit „voll da“ und fühlte mich auch gut. Wirklich gefreut habe ich mich nicht, es war mehr ein Gefühl tiefer Zufriedenheit und dass der Oberkörper jetzt so ist, wie er sein soll. Ich tauschte ziemlich gleich die OP-Kleidung gegen meine bereitgelegte und fand es doch etwas ungewohnt, dass es jetzt völlig ok war, mit freiem, wenn auch dick verbundenem, Oberkörper da zu liegen. Insgesamt wussten nur wenige Menschen von der OP, denen ich ein Selfie mit Totenkopfverband schickte. Ich sah wohl schon wieder ziemlich fit aus, fanden zumindest meine Freunde. Gegen 17.30 Uhr klingelte ich, weil ich aufstehen wollte, es wurde nochmal Blutdruck gemessen und der Kreislauf blieb auch bei mir. Wenig später kam das Abendessen. Den Rest des Abends habe ich mit Hörbuch hören, bisschen Handy spielen verbracht, dabei bin ich immer wieder eingeschlafen. Zwischendurch hatte auch die Ärztin, mit der ich am Vortag gesprochen hatte, nochmal reingeschaut. Schmerzen hatte ich keine, obwohl ich nach der Narkose den ganzen Abend und die ganze Nacht kein Schmerzmittel genommen habe. Es war lediglich so ein Gefühl wie Muskelkater oder leichte Zerrung in der Brust zu spüren. Das einzige, was wirklich weh tat, war die Thrombosespritze, die mir der Nachtpfleger in den Oberschenkel statt in den Bauch gab, weil er nicht so nah am OP-Gebiet stechen wollte. Einer der beiden Zugänge wurde mir auch schon gezogen, als ich danach fragte. Die Nacht war mittelmäßig, weil ich eigentlich Seitenschläfer bin.

Samstagmorgen hatte ich Tabletten auf dem Nachttisch, ich fragte, was es sei und wir entschieden, dass ich erstmal nur Ibuprofen und Magenschutz nehme und die stärkeren Schmerztabletten, die auch auf den Kreislauf gehen, erst mal zurück gehen – ich brauchte sie während des gesamten Aufenthalt nicht. Frühstück und Abendessen gibt es in diesem Krankenhaus (auf Normal- und Privatstation) vom Buffetwagen. Die Servicekräfte kommen rein, fragen, was man möchte und bringen es direkt. Wer fit ist, kann auch raus gehen und selbst gucken, was man will. Beim Frühstück wird gefragt, was man zum Mittagessen möchte. Die Visite, am Wochenende bestehend aus Assistenzarzt_ärztin und Pflegekraft, kam auch irgendwann. Es wurde die Menge der Flüssigkeit in den Drainageflaschen notiert und der Brustgurt geöffnet. Ich konnte zum ersten Mal kurz das Ergebnis sehen oder zumindest erahnen. Auf den Brustwarzen waren mit so angeordneten Pflasterstreifen Polster befestigt, über den großen Schnitten klebte eine durchsichtige Folie. Die Narben waren zu erahnen, aber durch getrocknetes Blut nicht klar zu erkennen. Die Ärztin drückte vorsichtig ein bisschen auf der Brust rum und dann wurde mit vereinten Kräften die Bandage wieder eng angelegt. An diesem Tag verließ ich das Bett schon öfter mal, holte mir immer wieder selbst Wasser im Aufenthaltsraum und bekam nachmittags Besuch. Nervig war, immer an die Drainageflaschen zu denken, die sich zwar gut an den Hosenbund klemmen ließen…man musste nur vor dem Aufstehen dran denken. Bewegungen gingen relativ gut, solange die Oberarme nah am Oberkörper waren. Probleme machte es mir, Türen zu zuziehen und die Türklinke runter zu drücken, das wurde aber wie die Beweglichkeit/Kraft allgemein von Tag zu Tag besser. Im Bett aufrichten ging ohne Arme recht gut, zumindest wenn das Rückenteil nicht ganz flach war. Was Anziehen betrifft, stellte ich fest, dass ich ohne Probleme in die weiten T-Shirts kam, Jacken anziehen war deutlich schwerer, beim Ausziehen war es genau anders herum. Trotz Drainagen, habe ich mich wohl im Schlaf schon wieder auf die Seite gedreht, zumindest lag ich zweimal so, als ich nachts mit Schmerzen an der Stelle, wo der Schlauch aus dem Brustkorb kam, aufwachte. Wie ich das hin gekriegt habe, weiß ich nicht, denn wach konnte ich mich nicht drehen.

Sonntag lief die Visite ähnlich ab und es wurde beschlossen, dass die Drainagen raus können. Vom Ziehen der Schläuche habe ich so gut wie nichts gemerkt, geziept hat vor allem das durchschneiden der Fäden, mit denen die Schläuche angenäht waren. Danach konnte ich auch wieder auf der Seite liegen, zumindest wenn ich mich aus dem Sitzen gleich auf die Seite gelegt habe. Am Montagmorgen war die Runde bei der Visite dann etwas größer und kam sehr früh. Wieder Bandage auf, drauf gucken, fühlen, Bandage wieder drum. Im Laufe des Vormittags musste ich dann umziehen. Es standen zwei Praktikanten bereit, um mir beim Packen zu helfen, ich lehnte ab und räumte alles selbst auf mein Bett, das sie beiden Jungs dann runter schoben auf die Station, wo ich am Freitag schon mal drei Stunden gewartet hatte. Dort kam ich in ein Dreibett-Zimmer. Ich bekam den Platz direkt an der Wand zum Bad, in der Mitte lag ein älterer Herr mit vielen Schläuchen und wenig Kleidung, dessen Finger auf der Umschalttaste des Fernsehers fest gewachsen zu sein schien…wenn man länger als fünf Minuten den gleichen Sender guckt, wird es auch langweilig. Den Fensterplatz hatte ein Mann, ich schätze mal in den Dreißigern, mit verbundenem Arm der häufig in einer mir fremden Sprache telefonierte. Am mittleren Bett war viel Betrieb (Interview von Studierenden, Ernährungsberatung, Diabetesberatung, Stomaberatung, Sozialberatung, Visite, Pflege…). Zu mir kam zweimal die Mitarbeiterin des Sanitätshauses, vormittags um Maß zu nehmen und nachmittags, um die Kompressionsweste zu bringen. Als ich dann da im Zimmer stand (quasi vor den anderen beiden Männern, wobei ich nicht weiß, ob sie geguckt haben), sie die Bandage ab machte und mir die Weste einstellte und anzog, war das schon irgendwie ein komisches Gefühl, aber auch gut. Es hätte ja die Möglichkeit gegeben, dazu ins Bad zu gehen, aber sie schlug es nicht vor und ich fragte auch nicht. Ab Sonntag ging ich täglich ein bis zweimal raus und lief bei Regen auch drinnen über die Gänge. Ansonsten verbrachte ich viel Zeit mit Lesen und Hörbücher hören, die Anschaffung eines „richtigen“ Kopfhörers als Ergänzung zu den normal unterwegs genutzten In-Ear-Steckern hat sich auf jeden Fall gelohnt. Von Zeit zu Zeit saß ich auch mit meinem E-Book-Reader im Aufenthaltsraum oder unterhielt mich dort mit anderen Patient_innen.

Am Mittwoch wurden bei der Visite die Polster von den Brustwarzen genommen, die Folie auf den großen Narben sollte bis zu Ziehen/Kappen der Fäden drauf bleiben. Es sah alles gut aus, die Nähte um die Brustwarzen waren kaum zu sehen und alles schien gut durchblutet. Die Schwester kam zehn Minuten später zurück, um die Brustwarzen zu verbinden und der Entlassung stand nichts mehr im Wege. Zusammen mit dem Mann am Fensterplatz, der wie dann in bruchstückhaftem Englisch erfuhr aus Sri Lanka kam, ging ich in der Ambulanz unsere Entlassungsbriefe holen. Dann musste ich noch ein paar Stunden im Aufenthaltsraum warten, bis mein Bruder mich abholen kam. Ich saß nicht alleine da, weil auch andere Angehörige länger als geplant brauchten, weil es an diesem Tag schneite.

Insgesamt war mein Eindruck vom Krankenhaus gut, auch wenn manche Ecken wohl auch baustellenbedingt etwas heruntergekommen aussahen. Das Personal habe ich durchweg als freundlich erlebt. Das Essen war für Krankenhaus echt ok und die Kommunikation im Vorfeld (Terminvereinbarung, durchschicken der Kostenübernahme) unkompliziert.

 

Wieder zu Hause…

Da ich alleine wohne hatte ich meine Wohnung so vorbereitet, dass ich möglichst alleine klarkomme, was auch funktionierte. Klamotten hatte ich so viel wie möglich auf mittlere Höhe im Schrank geräumt, im Bad habe ich ohnehin nur niedrige Schränke, mein Geschirr und Töpfe hatte ich auf den Esstisch geräumt, Vorräte auf das mittlere Regalbrett in der Abstellkammer und auf ein Sideboard im Wohnbereich. Wasservorräte stapelten sich im Flur und in der Abstellkammer. Ich kam tatsächlich gut alleine zurecht. Alles was sich hält, hatte ich im Vorfeld besorgt, frische Sachen besorgte ich im Zuge von kleinen Spaziergängen im Supermarkt. Groß gekocht habe ich die erste Zeit zu Hause nicht, gerade die Bewegung beispielsweise beim Brot oder Gemüse schneiden, habe ich noch sehr deutlich gespürt, aber Tüten mit TK-Ware aufschneiden ging problemlos

Am ersten Tag nach der Entlassung war ich beim Hausarzt, der einen Vertretungsarzt in der Praxis hatte, der mir beim Entfernen des Brustwarzen-Pflasters einen Teil der Folie mit abriss. Er fand das nicht tragisch, ich klebte dann zu Hause ein wasserfestes Pflaster auf die Stelle. Ich diktierte ihm noch, was auf das Rezept für die Kompressionsweste zum Wechseln soll (hatte mir die Mitarbeiterin des Sanitätshauses aufgeschrieben) und er fragte mich nach Medikamenten. Warum er mir einerseits sagte, dass ich keinen Magenschutz bräuchte, weil ich ja nicht ewig Schmerztabletten nehmen wolle, er mir aber gleichzeitig eine 50er-Packung Ibuprofen 600 aufschrieb, obwohl ich gesagt habe, dass ich mit Schmerzmitteln noch versorgt bin, werde ich wohl nie erfahren. Tatsächlich habe ich die Schmerztabletten noch bis Freitag, also eine Woche ab OP-Tag, wie im Krankenhaus weiter genommen – Ibuprofen hat ja auch eine entzündungshemmende Wirkung. Am Samstag wollte ich auf Bedarf umstellen, aber der Bedarfsfall trat nie ein. In der folgenden Woche bin ich am Mittwoch das erste Mal wieder Auto gefahren, am Donnerstagabend war ich drei Stunden arbeiten und ab Freitag habe ich dann wieder fast normal gearbeitet. Am Freitagvormittag wurden auch die Fäden gezogen und gekappt. Die Krusten von den Brustwarzen fielen Großteils nach etwa vier Wochen ab, die eine Seite etwas früher als die andere.

Die Kompressionsweste sollte ich sechs Wochen tragen. Als diese vorbei waren stellte ich relativ schnell fest, dass von heute auf morgen ausziehen bei mir nicht funktioniert. Ich bekam nach wenigen Stunden Rückenschmerzen und fühlte mich auch unsicher. Ich machte es also wie bei Medikamenten, die man lange genommen hat: Ausschleichen lassen. Ich ließ die Weste zu Hause immer häufiger weg, zog sie aber an, sobald ich das Haus verließ, weil ich mich mit sicherer fühlte. Als ich zum ersten Mal ohne draußen war, hatte ich ständig das Gefühl, dass da doch was wackeln und für alle sichtbar sein müsste – dass da nichts mehr ist, war wohl noch nicht ganz im Kopf angekommen. Auch T-Shirt-Stoff locker auf der Brust zu spüren, war erst mal ungewohnt. Das zog sich über zwei Wochen, dann hatte ich Urlaub und konnte sie davon einen auf den anderen Tag ganz weglassen. Solange ich die Weste trug, habe ich die Brustwarzen mit Fett Gaze und Kompresse bzw. später nur noch Kompressen abgeklebt und über die großen Narben kamen erst selbstgebastelte Verbände aus Kompressen und breitem Papierpflaster und später nur noch ein Streifen Papierpflaster, damit die Kompressionsweste nicht daran reibt.

Nach drei Monaten war ich zur Kontrolle in Düsseldorf. Der Arzt war sehr zufrieden mit meiner Narbenbildung, ich bin es auch. Von den Narben um die Brustwarzen ist weder etwas zu sehen, noch zu spüren. Die Brustwarzen verlieren allerdings an manchen Stellen etwas Farbe – bisher fällt es beim flüchtigen Blick wie es ihn vielleicht im Schwimmbad geben würde, nicht auf. Die großen Narben sind noch fest, wobei der Bereich schon deutlich kleiner geworden ist, und rot. Von der Breite bewegt es sich zwischen Strich mit einem spitzen Bleistift und Strich mit einem stumpfen Bleistift. An der rechten Brust ist oberhalb der Brustwarze noch eine verhärtete Stelle. Derzeit massiere ich die gesamte Brust inklusive Narben von Zeit zu Zeit und probiere seit ein paar Tagen Silikon-Narbenpflaster, die das Gewebe rund um den Schnitt weicher machen sollen, aus.

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