Beste Schulfreunde

Das Thema Coming Out und Outing war schon öfter Gegenstand des Gendertreff Magazins. Hier zeigt sich: Oft kommt es ganz anders, als man denkt. So auch im folgenden Bericht, den uns Uta aus dem Gendertreff Forum zur Verfügung gestellt hat.

Meiner lieben Freundin zum „5. Geburtstag“ gewidmet

Beste Schulfreunde

Vor einigen Jahren rief mich eines Abends mein bester Schulfreund Andreas an und sagte, „…wir müssten mal wieder um den Block ziehen.“ Bei diesen Worten hatte ich auf einmal ein seltsames Bauchgefühl …

… und auf einmal waren auch all die Gedanken an eine schöne Kindheit und die vielen Abenteuer in der Schulzeit mit meinem besten Freund wieder da.

Seit ich in die 1.Klasse der neuen Schule kam, hatte sich zwischen uns eine Freundschaft gebildet, die bis heute – über 45 Jahre lang – anhält.

Ja, mal wieder um den Block ziehen, das hatten wir als Kinder und Jugendliche oft gemacht. Einfach so, ohne Ziel, durch die Straßen streifen und einfach nur über die „wichtigen Dinge unseres Lebens“ quatschen. Nicht gerade das, was Jungen in diesem Alter so tun, aber uns war das egal. Und während andere Schulkameraden Fußball spielen waren, liefen wir lieber kilometerweit durch unsere Heimatstadt.

Wir verehrten die gleichen Mädchen, ohne wirklich Konkurrenten gewesen zu sein, wir zündeten selbst gebastelte Knallkörper und störten uns nicht daran, daß diese nur mit schönem Feuerstrahl abbrannten statt einen lauten Knall zu erzeugen.

Als Einzelkind durfte Andreas gern am Wochenende auch mal einen Schulfreund auf Familienausflüge mitnehmen und so strolchten wir glücklich mit viel Blödsinn im Kopf durch die Natur.

Später trennten sich unsere Wege. Ich erlernte einen Beruf der Elektrotechnik und mein Schulfreund ging in die Landwirtschaft. Verständlich, dass unsere gemeinsamen Unternehmungen weniger wurden, zumal unsere Ausbildungsorte rund 100 km auseinander lagen.

Aber das tat der Freundschaft keinen Abbruch. Zum Ausbildungsfasching besuchte mich Andreas in unserem kleinen Dorf (so verrückt ist die Welt: er lernte Agrotechniker in der Nähe einer Großstadt und ich lernte Elektronik in einem 600-Seelendorf am Rande des Harzes). Doch Dorf-Fasching kann großartig sein!

In dieser Zeit trafen wir uns auch schon mal im Urlaub. Ich fuhr jedes Jahr mit meinen Eltern an die Ostsee und im Sommer 78 zeltete mein Freund einfach kurzerhand im Nachbarort. So konnten wir ungestört im Sand liegen oder stundenlange Strandspaziergänge machen und über „Gott und die Welt“ reden.

In den 80igern gründeten wir Familien, der eine mit, der andere ohne Kinder. Ich bin inzwischen ins Rheinland gezogen, mein Freund wohnte weiterhin im Osten Deutschlands. Und so kam es, dass die Abstände der Treffen immer größer wurden. Wir haben uns zwar nicht aus den Augen verloren, aber jeder ging so seiner Wege und nur einmal im Jahr, beim gemeinsamen Wanderwochenende beider Familien in der Sächsischen Schweiz hatten wir Gelegenheit, unsere Freundschaft aufzufrischen.

Eigenartig – bei einer der letzten Wanderungen hatte ich das erste Mal dieses unbestimmte Bauchgefühl. Mein Schulfreund kam gerade mit freiem Oberkörper aus der Dusche …

Und plötzlich dieser abendliche Anruf. Da war es schon wieder, dieses Bauchgefühl!

Wir verabredeten uns auf einen baldigen Besuch, denn mich sollte demnächst eine Dienstreise in die alte Heimat bringen.

Wir hatten uns für den Abend im Kleingarten der Freundesfamilie verabredet, aber irgend etwas ließ mir keine Ruhe. So fuhr ich (erst einmal ohne meine Frau und unter einem fadenscheinigen Vorwand) bereits am Vormittag ins Büro meines Freundes.

Mein Gefühl hat mich nicht getrogen – irgend etwas lag in der Luft.

Unbeholfen beginnt er das Gespräch: so völlig anders, als wir es bisher gewohnt waren. Er kam von Partnerschaft, komplizierten Entwicklungsphasen, inneren Spannungen über Krankheiten, … dann schlussendlich zur „Seele im Spagat“.

Ich merkte, es ist ihm unheimlich schwer gefallen, mir, seinem Besten Schulfreund, sein Herz so umfassend auszuschütten. Aber nun ist es endlich raus: mein bester Schulfreund wird demnächst meine beste Freundin sein!

Aber ich spürte bei ihm/ihr immer noch die Angst – wie wird der Schulfreund (also ich) darauf reagieren? Wird die Freundschaft an diesem Geständnis zerbrechen? Steh ich vielleicht auf und verschwinde aus ihrem Leben?

Da konnte auch ich nicht mehr anders: ich zog meine Hose ein wenig hoch und zum Vorschein kamen kleine Absatzsommerstiefel, durch deren Lochmuster zaghaft Feinstrumpfhosen durchschimmerten. Und dann bahnten sich bei uns beiden plötzlich Tränen unaufhaltsam ihren Weg…

So hatte sich Andrea ihr Outing bei mir ganz sicher nicht vorgestellt!

Das alles ist nun schon einige Jahre her. Inzwischen hatte Andrea ihren „5.Geburtstag“ und Andreas ist schon lange Geschichte.

Soweit meine kleine Anekdote für alle, die denken, Sie sind mit Ihren Problemen allein auf der Welt. Statistisch zwar sehr unwahrscheinlich, könnte trotzdem jeder/jede neben Dir in der U-Bahn, im Kino, im Supermarkt, … Deine Lebensgeschichte teilen. Oft wissen wir nur viel zu wenig über die Anderen oder trauen uns (aus scheinbar verständlichen Gründen) lange nicht, uns unseren besten Freunden anzuvertrauen.

Ich weiß – leichter gesagt als getan!

Ich hab noch Jahre gebraucht, und ehrlich – ich hab mich bis heute immer noch nicht umfassend geoutet. Im Job und im dörflichen Umfeld spiele ich weiterhin die männliche Rolle, obwohl es langsam immer schwerer fällt.

Uta

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Coming Out und Outing

Coming Out und Outing – oder, wie bringe ich es meinen Kollegen bei?

Vesta aus dem Gendertreff Forum berichtet, wie ihr berufliches Umfeld von Vesta erfahren hat.

Coming Out und Outing sind beides Begrifflichkeiten aus der Homosexuellen-Schwulen-Lesbenszene und dem Sinn nach Sprachgut geworden, obwohl diese Bezeichnungen eher frei übersetzt heißen:

Coming-out (von engl. „coming out of the closet“, wörtlich: „Aus dem Kleiderschrank herauskommen“) bezeichnet zumeist den individuellen Prozess, sich seiner eigenen gleichgeschlechtlichen Empfindungen bewusst zu werden, dies gegebenenfalls dem näheren sozialen Umfeld mitzuteilen (zunehmend auch (Selbst-)Outing genannt) und im Endeffekt selbstbewusst mehr oder weniger offen als Lesbe, Schwuler oder Bisexueller zu leben. (Wikipedia )

Outing umschrieb ursprünglich das erzwungene Coming-out öffentlicher Personen durch bekennende und politisch aktive Homosexuelle. Die Praxis des „Outens“ ist vor dem Hintergrund der Act-Up-Bewegung entstanden und wurde als bewusst provokative Aktion eingesetzt, um durch das Benennen von homosexuellen Prominenten diese dazu zu zwingen, sich auch in der Öffentlichkeit zu ihrer Homosexualität zu bekennen. (Wikipedia )

Beide Begriffe sind mittlerweile verwässert worden und neben dem „Outing“ als meist erzwungene Handlung – oftmalig durch die Presse bei öffentlichen Personen – bildet das „Coming Out“ die grundsätzliche Handlung von Menschen, mit anderer geschlechtlicher Orientierung oder generell anderer Veranlagung, sich Ihrem Umfeld mitzuteilen.

Dies nicht zuletzt um sich selber vor Homophbie in ihrer Wechselrolle, also vor Repressalien, Diskriminierungen etc. zu schützen, andererseits auch – als wesentliche Handlung – sich das Zusammenleben mit seinem Umfeld zu erleichtern und diesem seine Orientierung zu vermitteln. Dies damit verbunden, von den Anderen auch angemessen akzeptiert zu werden. Dass damit nicht in jedem Fall die Zustimmung oder Akzeptanz durch die Anderen verbunden sein kann, ist selbsterklärend.

Der "Coming Out Tag“ 11.10., ist gewiss einer der wichtigen Tage für sexuell anders orientierte Menschen neben dem, im deutschsprachigen Raum, am 17. Mai veranstaltetem Tag des „International Day Against Homophobia“.

Das "Selbst-Coming Out“ ist für Transgender, Transvestiten und Transsexuelle einer der wichtigsten Schritte in ihrem Leben und letztendlich die Entscheidung, die ihnen eine Befreiung ihrer inneren Zwänge und Ängste und letztlich ihre gewünschte Lebensweise erst ermöglicht. Dennoch ist ein "Coming Out" ein Paradoxum Par Exellence, denn einerseits erwirbt man sich seine Freiheit des Inneren Ichs, andererseits erfährt derjene/diejenige nun gerade erst recht eine Homophobie und die damit verbundenen Beeinträchtigungen.

Dies geht bekannterweise bis hin zum Arbeitsplatzverlust, Verlust aller sozialer Bindungen und kann u.U. den totalen Absturz bedeuten. Leider sehr häufig in unserer Gesellschaft, leider verbunden mit der mangelnden Akzeptanz einer Andersartigkeit des Anderen, da es schon im Kindesalter zu wenig Aufklärung hierzu gibt.

Dies gewiss geschürt durch Medien, Elternhaus, Umfeld und Einflüssen aus Gruppierungen, die sich all diesem verschließen (besonders patriotische Gruppen in den USA), denn der "Andersartige“ ist aufgrund seiner naturbedingten emotionalen und psychischen Schwäche sowie des Fehlens einer Lobby, stets Ziel dieser Gruppierungen und Organisationen. Menschenrechte und das Recht sein Leben so zu gestalten wie es jedem Individuum zusteht, spielen dabei eine untergeordnete Rolle.

Dies sind Erfahrungen, die ich in meinem Leben mehrfach machen musste und immer noch machen darf.

Es gab und gibt immer Höhen und Tiefen als Bezeichnung für gute und schlechte Zeiten, dennoch gilt es, sein Leben im Einklang mit der Gesellschaft führen zu können und zu führen. Denn nur wenn sich dieser Einklang einzustellen vermag, es demjenigen gelingt, sein direkt betroffenes Umfeld in Beruf, Familie und Freundeskreis so einzustimmen, dass er anerkannt und akzeptiert wird, findet sich Zufriedenheit ein. Eine erarbeitete Zufriedenheit, die aber stets gepflegt werden muss. Denn von mir, von der- oder demjenigen muss diese Aktivität zur Eigenzufriedenheit ausgehen.

Ich selber bin für mich dahingehend verantwortlich, dass mir die notwendige Akzeptanz/Anerkennung zuteil wird. Dazu zählt auch das Verständnis für die Personenkreise, die mit der von mir getroffenen Lebensweise nicht umgehen können oder mich gerade deshalb ablehnen. Aufklärungsarbeit ist tatsächlich das Zauberwort, denn Ablehnung entsteht als Phobie, als Angst, vor dem Anderen, der eben eine andere Lebensweise pflegt.

Z.B. geht nicht an, dass ich heute noch in Männer-/Frauengestalt erscheine und morgen völlig unvorbereitet denselben Menschen in Frauen-/Männergestalt gegenüberstehe. Dazu bedarf es gewissenhafter Vorbereitungen und diese sind und müssen stets Bestandteil eines geplanten Coming out sein, wie ich es in meiner Kundschaft nun durchgeführt habe.

Hier muss ich erklären, dass es bei mir, aufgrund der beruflichen Tätigkeit – Stahlwerke weltweit – einen Zwang gab, als Mann aufzutreten, also als Transvestitin, denn ich lebe als Frau und das seit vielen Jahrzehnten, dokumentarisch offiziell seit mehr als 10 Jahren mit Personenstandsänderung und somit auch gebürtiger Frau.

Dennoch bestand die Notwendigkeit, aufgrund der schon vor über 30 Jahren geknüpften Kundenkontakte in Männergestalt, diese beizubehalten. Die verschiedenen Kulturkreise in denen sich meine Kunden befinden, hatten zu dem Zeitpunkt sogar die Todesstrafe für Menschen anderer sexueller Orientierung im Tagesprogramm, denn die Personenstandsänderung kam zu einem späteren Zeitpunkt, so dass ich – wenn überhaupt – dort als "auf dem Weg befindliche Transsexuelle " erscheinen mußte und das war aufgrund deren Gesetzgebung eben nicht machbar.

DIeser Sachverhalt zwang mir letztlich die Männerrolle auf, selbst nach erfolgter Operation und Personenstandsäderung musste dieser Zustand beibehalten werden, zumal über ein Netzwerk an Informationsvermittlung der Kunden untereinander noch ganz andere Probleme aufkamen.

Nach der Operation und Personenstandsänderung war es für mich im Neukundengeschäft keine Frage mehr, wer da ins Stahlwerk geht. Aber, wieder einmal die Rechnung ohne den Wirt gemacht: Frauen sind in dem Teil des Stahlwerkes (Hochofen und Konverter) nicht zugelassen.

Erst im Rahmen von Liberalisierungen und Anerkennung der Frau in diesen Berufen ergaben sich Erleichterungen, aber der Zugang zum Herzen des Stahlwerkes war mir als Frau bis vor kurzem weiterhin verschlossen.

Nun, bisher ging das alles mit Zusatzdokumenten und Zusatzausweisen, um die Rolle als Mann leben zu können und meinem Beruf nachgehen zu können, alles sehr schmerzhaft, aber von mir geduldet. Geduldet, aber nicht akzeptiert. Ein Leben an der Grenze zum Machbaren. Viele Jahre.

Mit den neuen Passgesetzten seit 2005 war dies alles dann nicht mehr möglich, das „F“ im Paß verlangt halt Auftritt als Frau und kaum ein Grenzer würde mich in Männergestalt mit weiblichem Pass passieren lassen. Also war ein „Coming Out“ angesagt, vor dem ich jahrelang große Angst hatte. Insbesondere waren die erlebten Diskriminierungen in all der Zeit sehr wohl der Hemmschuh gegen ein „Coming Out“. der realen Person „Vesta“.

Man kann sagen, wie abgefahren ist das denn, ich muss mich, meine wahre weibliche Identität, verbergen, und als Transvestit durchs Leben gehen. Die Ursache hat doppelten Boden. Einerseits Diskriminierung der Frau wegen der stets erkennbaren Herkunft aus dem männlichen Lager, die darauf abzielte den Menschen, also mich, zu verhöhnen und psychisch „weich zu kochen“ und andererseits die Angst, eben als diese Frau nicht im Geschäft anerkannt zu werden und auch dort ggf. dem Gespött ausgeliefert zu sein.

Dennoch, die Notwendigkeit bestand, den transvestitischen Schutzmantel jetzt abzuwerfen und letztlich half meine Partnerin Sternschnuppe mir auf den Weg, in dem sie diesen Weg letztlich vorschlug. Hierbei habe ich mich der modernen Technik der E-Mails bedient und z.B. meinen Vertretern – weltweit – individuelle Mails gesendet, die auf meinen Werdegang, meine Lebensweise und letztlich mein Innerstes abgestimmt waren.

Hierbei wurden den Mitarbeitern/Niederlassungen und Vertretern die weibliche Person, also ich, in Bildern dargestellt und erläutert, verbunden mit der ketzerischen Frage, ob sie damit zukünftig ein Problem hätten. Ich erwartete ehrliche Antworten und Erklärungen, die dann auch kamen und letztlich zu Diskussionen und Abwägungen führten und unerwartet mir meine immer noch vorhandenen Zweifel nahmen, indem ich wider Erwarten die volle Zustimmung zur eigenen Person bei den Kunden fand.

Dies gewiss auch dadurch, dass in den letzten Jahren duch Äufklärung im Bereich der geschlechtlichen Entwicklung sehr viel mehr Wissen den Leuten vermittelt werden konnte.

All dies geschah nun nach fast 20 Jahren Frau sein in beruflicher Verborgenheit.

Die Zweifel an der eigenen Person und Ängste waren tatsächlich mit ein Grund für meine Zurückhaltung, denn nun konnte ich zum ersten Mal zu meinem ukrainischen Vertreter sagen, dass wenn er glaubt, dass das Stahlwerkspersonal mit mir Probleme hätte oder mit Fingern zeigen würde, dieses Problem wohl eher bei ihm liegen würde und er die Situation nicht akzeptieren könnte.

Nach all den Jahren Mannrolle sicher verständlich, aber er hätte dann auch verstehen müssen, dass ich trotzdem meinen Job mache, auch wenn Leute auf mich zeigen, gemäß dem Motto: Was hat eine Frau im Stahlwerk zu suchen. Wobei das Zeigen sehr wohl nur vermutet war, denn – nichts geschah. Und dagegen bin ich mittlerweile geschult, dagegen habe ich mich ausbilden lassen, damit gehe ich ganz adäquat um.

Nun, wie dem auch sei, mittlerweile hat auch dieser Kulturbereich Ukraine, Polen Tschechien und Russland meine wahre Identität erfahren und akzeptiert. Alle gehen damit ganz selbstverständlich um und allen habe ich in den letzten Monaten auf Treffen und unseren Schulungen wieder die Hand gegeben – wie in den vergangenen Jahren – und es hat sich eine große Zufriedenheit und Akzeptanz bei den Leuten eingestellt. Andere Vertreter sind hocherfreut ob meines Wandels (Türkei), wiederum höre ich aus Südafrika, dass in jedem Menschen das 3er-Leben lebt – sein Privates, sein Geschäftliches und sein Geheimes. Und jedes muß man akzeptieren. Selbst bei ad hoc Treffen mit meinen Mitarbeitern und Vertretern hat sich niemand verplappert und ein „Er“ hervorgebracht.

Die Frau ist wieder da, sie hat den Transvestiten „Mann“ abgeworfen, ein Prozess voller Ängste vor dem Ungewissen, wie Menschen reagieren werden.

Ich kann nur all denen Mut machen, es ähnlich anzugehen, denn damit und dadurch werden viele Umfeldbetroffene sich nach und nach per Bild und Text an eine solche neue Situation gewöhnen. Wenn dann eben der Tag der Gegenüberstellung kommt, ist jeder vorbereitet und dazu noch überrascht, wie entspannt alles sein kann. Dazu muss, natürlich, durch korrektes Auftreten entsprechendes beigetragen werden, um auch meinem Gegenüber, seine gewiss noch vorhandenen, Berührungsängste zu nehmen. Auch das will geübt und gelernt sein.

Und dazu ist tatsächlich der Gendertreff eine gute Ausgangsbasis, sich dererlei Situationen zu stellen und auch zu üben. Die zahlreichen Treffen und Ausflüge helfen gerade Anfängern auf ihrem Weg in "Ihre Normalität," sich ihrer eigenen Weiblichkeit bewusster zu werden und dieses innere Anima und Animus Verhältnis ins seelische Gleichgewicht zu bringen.

Lernen muß ein jeder und eine jede, dass es auch Kritik gibt, die ehrlich gemeint ist und die auch von denjenigen aufgenommen werden muss, ist selbstredend. Denn nur durch Kritik und Verbesserungsvorschläge kann das Äußere dazu beitragen, in der Gesellschaft leichter akzeptiert zu werden und seine eigene Persönlichkeit und Lebensweise zu entwickeln.

Der Gendertreff, als nunmehr Selbsthilfegruppe, verfolgt mittlerweile andere Ziele, als dies vor Jahren mal angedacht war. Aus dem "Verein Gendertreff" ist mittlerweile eine Gemeinschaft entstanden, die allen offensteht, sowohl Frauen und Männern als Interessierten und der Erfolg zeigt, dass dies der richtige Weg ist.

Zahlreiche Frauen sind dem Treff beigetreten, Interessierte, die sich informieren wollen, denn es wird hinterfragt wie es denn so sein wird oder auch ist, mit einem Partner zusammenzuleben der eben transsexuell oder transgenderist oder auch nur eine Form des fetischistischen Transvestismus ausleben will.

Hier kann ich dem nur beipflichten und sagen – weiter so – denn zu meiner damaligen Anfängerzeit, und das ist über 45 Jahre her, war man wirklich auf sich alleine gestellt und betrat die Öffentlichkeit ebenso verschämt und heimlich, wie es heute viele Männer und auch Frauen tun, die eine andere geschlechtliche Orientierung haben.

Vesta

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Ein Outing mal ganz anders

Unverhofft kommt oft. So war es auch hier, als Rita ein etwas ungeplantes Outing bei ihrer Schwiegermutter hatte. Rita, Ava und Bernadette aus dem Gendertreff Forum berichten:

Das Outing aus der Sicht von Rita

Lange haben meine Frau und ich uns überlegt, wie wir es meiner Schwiegermutter erklären. Es gab immer irgendwelche Vorwände, die es uns unmöglich machten, ihr zu erzählen, dass es Rita gibt. Einmal war es die Gesundheit meiner Schwiegermutter und das andere Mal die Frage, wie sie es aufnimmt, und wie Sie damit lebt. Na ja, auf jeden Fall waren wir uns einig, dass sie es auf jeden Fall erfahren sollte. Schon wegen der Tatsache, dass doch viele aus meiner kleinen Stadt, aus der ich komme, Rita kennen. Denn es war eben nur eine Frage der Zeit, wann irgendein Nachbar etwas erzählt. Und das sollte auf keinen Fall passieren. Aber dass es zu solch einem Outing wie dem im folgenden beschriebenen kam, wollten wir eigentlich auch nicht.

Es war ein Samstagmorgen, wir wollten zum Zug Richtung Koblenz. Ava und Bernadette kamen zu uns nach Hause. Wir wollten nach einem Kaffee gemeinsam zum Tranny-Bahnhof Gruiten gehen. Meine Frau war noch nicht ganz fertig, und deswegen gingen Bernadette, Ava und ich schon mal vor. Die beiden gingen als erstes aus der Wohnung, und ich folgte ihnen. Plötzlich fiel mir fast die Mütze weg: Meine Schwiegermutter stand am Weg und sah uns in ihre Richtung kommen. Ich ließ einfach meinen Koffer stehen und ging so schnell es ging zur Haustür zurück, und unverzüglich in die Wohnung.

Meine Frau hatte mich vom Fenster aus beobachtet, und es entwickelte sich eine heftige Diskussion. Meine Entscheidung stand aber fest. Ich wartete, bis meine Schwiegermutter nicht mehr zu sehen war, und dachte: „Was soll´s, ich geh jetzt einfach hinterher.“

Mit meinen Koffer, der noch in der Mitte des Weges stand, dort wo ich ihn hatte stehen lassen, zog ich also los. Aber ich kam nicht weit, ohne dass ich den nächsten Schreck bekommen habe. Meine Schwiegermutter unterhielt sich mit Ava und Bernadette. Ich wechselte die Straßenseite und habe verlegen etwas gewunken.

Zum Glück verabschiedeten sich Ava und Bernadette schnell von meiner Schwiegermutter und wir konnten gemeinsam zum Bahnhof gehen. Mir hing der Schock immer noch stark in den Knochen.

Etwas später kam meine Frau hinterher, und lief meiner Schwiegermutter ebenfalls in die Arme. So konnte sie ihr schon einmal eine kurze Erklärung abgeben. Dabei stellte sich heraus, dass sie Ava, die sie zuvor als Mann bei uns kennen gelernt hatte, sofort erkannt hat. Meine Schwiegermutter hatte sich aber doch über das Outfit gewundert.

Die richtige Aussprache kam einen Tag später, als wir aus Koblenz wieder zurück waren. Und das schönste ist: Meine Schwiegermutter hat nichts dagegen, solange meine Frau damit klar kommt. Mittlerweile habe ich meine Schwiegermutter auch als Rita getroffen, und selbst als ich Sie fragte, ob ich das, was ich anhatte, so tragen kann, sagte sie: „Ja, auf jeden Fall.“

Ist das nicht schön?

Ich habe leider die Unterhaltung zwischen meiner Schwiegermutter und Ava und Bernadette nicht mit bekommen.

Das Outing aus der Sicht von Ava

Nun, eigentlich ist alles schnell erzählt: Einige von uns wollten gemeinsam nach Koblenz fahren. Um der Reise einen gemütlichen Start zu geben, trafen sich Bernadette und ich zunächst bei Rita und ihrer Frau.

Als es Zeit wurde, zum Tranny-Bahnhof Gruiten zu gehen, wollte Kirsten noch etwas erledigen, weshalb Rita, Bernadette und ich schon einmal vorgingen. Schließlich wollten wir ja auch Xenia, Ute und Gitta am Bahnhof treffen.

Gesagt, getan. Wir verließen das Haus. Plötzlich hörte ich Rita hinter mir sagen: „Scheiße, meine Schwiegermutter!“ Noch ehe ich mich umgedreht hatte, war Rita wieder im Haus verschwunden. Bernadette und ich gingen einfach weiter und an Ritas Schwiegermutter vorbei.

Ritas Schwiegermutter sagte: „Hallo“, woraufhin ich „Hallo“ erwiderte.
Dann fragte sie: „Ist Kirsten noch drin?“. Ich sagte nur: „Ja!“

Wir haben dann eine Straßenecke weiter auf Rita gewartet. Ritas Schwiegermutter kam uns nach und wir haben uns noch kurz nett unterhalten. Dabei hat sie uns viel Spaß auf unserer Reise nach Koblenz gewünscht.

Dann kam Rita, winkte etwas verschämt ihrer Schwiegermutter zu und wir gingen gemeinsam zum Bahnhof. Kurze Zeit später kam auch Kirsten auf dem Bahnhof an. Sie berichtete uns, dass sie noch kurz über das Thema mit ihrer Mutter gesprochen hatte.

Übrigens: Kirsten berichtete mir, dass ihre Mutter meinte, ich hätte in meinem Kleid richtig gut ausgesehen. 🙂

Das Outing aus der Sicht von Bernadette

Es war am Tag zur Anreise nach Koblenz. Ava und ich trafen uns bei Rita und Kirsten, um gemeinsam zum Tranny-Bahnhof Gruiten zu gehen. Nach kurzer Begrüßung und einem Kaffee brachen wir auf. Kirsten war noch nicht ganz fertig, und so gingen wir drei schon mal langsam vor. Rita mit kleinem Abstand hinter uns,

Plötzlich verstummte das Rollgeräusch von Ritas Koffer. Ich drehte mich um und sah nur den verwaisten Koffer da stehen, wo ich Rita zu sehen dachte. Rita war weg!!!!

Erst da sah ich den Grund vor uns stehen: Ritas Schwiegermutter stand vor uns und fragte, wo denn Kirsten wäre, Ava gab ihr die Auskunft, aber das Fragezeichen auf ihrem Gesicht blieb. Keine Frage nach Rita, wir reimten uns den Grund zusammen und gingen weiter. Den Rest hat dann Rita schon beschrieben.

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Besuch bei den Eltern als Frau

Es ist immer wieder schön zu hören, wenn ein Outing so positiv verläuft wie jetzt hier bei Babs. Mit ihrer freundlichen Genehmigung haben wir ihren schönen Bericht hier im Magazin veröffentlicht.

Es ist Sonntagnachmittag, ich bin in Köln unterwegs, schönstes Herbstwetter. Die Luft riecht nach dem Laub und ein freier Nachmittag liegt vor mir. Eigentlich will ich ja nur einen Spaziergang machen und dann zurück nach Haus fahren – aber plötzlich ist da der Gedanke in meinem Kopf: Warum besuchst Du nicht endlich, endlich die Eltern, das wäre doch heute eine gute Gelegenheit? Und ich greife einfach zum Handy, ohne lange zu überlegen.

Wie sich herausstellt, ist sowieso ein spontanes Kaffeekränzchen mit Verwandten geplant. Naja, ein bisschen drängeln tu ich dann schon, aber als ich erfahre, daß alle Gäste schon von meinem So-Sein wissen (die Buschtrommeln haben scheinbar gut funktioniert in den letzten Wochen), ist es klar, daß dies mein Tag wird. Der Tag, auf den ich schon so lange gewartet habe… Uiih, Herzklopfen habe ich dann schon als ich die Treppe hinaufsteige. Was werden sie wohl sagen?  Vorwürfe?  Tränen?  Fragen?  Kreuzverhör?

Aber nichts von allem geschieht. Staunende Blicke mustern mich. Ein gemurmeltes Meine Güte, ja, sieht wirklich stimmig aus . Mir stehen die Tränen in den Augen, auch den anderen, wir umarmen uns, ich werde fast zerdrückt und muss immer wieder vor meinem Makeup warnen. Ob sie ahnen können, welche tonnenschwere Last gerade von mir runtergeplumpst ist?

Nach einer Viertelstunde geht das Leben weiter und wir Frauen tratschen und kümmern uns um Kaffee und Kuchen als wäre es schon immer so gewesen! Wie schnell das geht , denke ich ein paar Mal. Tipps zu Kleidung und Kosmetik, ein Mantel wechselt die Besitzerin (- danke Mama, er ist einfach ein Traum), Kuchenrezepte, Geschichten aus der Kindheit.

Und ich hatte mir monatelang die fürchterlichsten Sorgen gemacht hat. Wie nehmen es meine konservativen Eltern auf? Wird mein schon uralter Vater das verkraften? Und so weiter – das Übliche eben.

Es ist nicht nur alles gut gegangen – es war einer der schönsten Tage in meinem Leben und – wer weiß – vielleicht ein ganz neuer Anfang. Ich werde diesen Moment nie vergessen. Was zählt es da schon wenn ich ab und zu mit dem falschen Vornamen gerufen werde…

Liebe Grüße von einer glücklichen
Babs

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Conny und ich

Mit freundlicher Genehmigung von Fenya.

Den folgenden Beitrag hat unser Forumsmitglied Fenya im Gendertreff-Forum veröffentlicht. Fenya ist die Tochter von Conny-Lynn und ihr Bericht dokumentiert eindrucksvoll, wie sich ein Outing eines Transgenders im Rahmen der Familie darstellt. An dieser Stelle noch einmal ein herzliches Dankeschön an die Beteiligten, dass wir diesen Bericht im Rahmen unseres Gendertreff-Blog veröffentlichen dürfen.

Conny und ich

Von Conny habe ich ca. Ende 2006 erfahren. Ich habe vorher schon gemerkt, dass meine Eltern sich wieder näher waren als vorher, hätte aber niemals in Erwägung gezogen, dass so etwas dahinter steckt, um ehrlich zu sein.

Als mein Vater sich vor mir geoutet hat, war es für mich ein ziemlicher Schock und ich verstand nichts. Nach einer Minute habe ich dann komplett die Fassung verloren, geheult und gelacht vor Erleichterung und dem Schock, dessen ich mir bewusst wurde.

Er hat mir erklärt, dass er nicht schwul sei oder so, sondern sich einfach nur gern als Frau gibt, um direkt Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. Ich fragte ihn, ob es OK sei, wenn ich nun erstmal in mein Zimmer ginge, um den Schock zu verarbeiten und mir eine zu rauchen. Er gab mir etwas Zeit allein in meinem Zimmer und kam anschließend nochmal hoch zu mir, um nach mir zu sehen und zu fragen, ob alles ok ist.

An das darauf folgende Gespräch kann ich mich nicht mehr erinnern. In meinem Kopf schlugen die Ereignisse Purzelbäume und ich versuchte, irgendwie das Bild von meinem Vater und das von Conny (die ich bis dato noch nicht kannte) miteinander zu verbinden, was nicht funktionierte.

Ich kam mit dem Gedanken, dass mein Vater, der so strenge, zielstrebige und kalte Manager, der mir in diesen Dingen immer ein Vorbild war, eine Transe sein sollte, nicht klar. Ich habe geweint, war sauer, wütend und verletzt zugleich. Denn in diesem Moment hat man mir meinen Vater „genommen“. Und es stellt sich Dir auf einmal eine fremde und doch sehr vertraute Person in Dein Leben.

Nach einigen Tagen hatte ich den größten Schock überstanden und habe angefangen nachzuhaken, da ich von Natur aus ein sehr neugieriger Mensch bin und mich meine Neugier dann doch packte. Ich ging mit Bedacht und Abstand an das Thema, da es mir auch etwas Angst machte. Außerdem wusste zu diesem Zeitpunkt mein großer Bruder noch nichts von Conny. Daher war Vorsicht geboten, wann man das Thema ansprach. Einige Zeit danach habe ich versucht, das Thema zu meiden.

Danach habe ich von Gendertreff erfahren, wollte mich dort allerdings nicht anmelden, da mir die ganze Sache doch noch sehr suspekt war. Schlussendlich habe ich es doch gemacht und das war gut so. Danach kam alles ins Rollen. Ich habe langsam meine Scheu verloren und die neue Welt lockte meine Neugierde wieder raus. Bald habe ich meinen Vater beim Fertigmachen gesehen. Er hat mich auch gefragt, welchen Lidschatten er benutzen sollte oder was vom Outfit her zusammenpasst.

Solche gemeinsamen Sachen nehmen einem Stück für Stück die Hemmungen, dennoch kommt es mir manchmal immer noch utopisch vor. Es wird zum normalen aktiven Teil meines Lebens. So ging ich z.B. mit meiner Mutter bummeln und sie hat einen Rock anprobiert. Sie wollte ihn kaufen und ich bin sehr eigen, was meinen individuellen Kleidungsstil betrifft. In meiner Familie habe ich die Faltenröcke sozusagen annektiert und nun wollte sie sich einen holen. Ich habe angefangen rumzuzicken und habe dann lautstark im Laden gesagt: „Erst Du und nun auch noch Pa, der meinen Stil trägt. Lasst mir wenigstens meine Faltenröcke!“ Die Verkäuferin muss ziemlich doof geguckt haben. Ich habe das allerdings nicht mitbekommen und habe erst draußen bemerkt, was in dem Geschäft von statten gegangen ist und musste anfangen zu lachen.

Später, als für mich so etwas zum Alltag wurde, habe ich mich dann bei Veranstaltungen wie einem Transenschminken wiedergefunden. Manchmal, wenn ich Geschichten meiner Freunde höre, wie cool und ausgeflippt doch ihre Eltern sind, dann denke ich nur: „Wenn Ihr wüsstet!“ und muss in mich hinein grinsen.

Mit Conny war ich das erste Mal bei Anjas Stammtisch in der Öffentlichkeit. Doch so richtig weg war ich mit Conny und meiner Mutter vor kurzem im Centro. Es war komisch, nicht „Pa“ zu rufen sondern „Conny“ und ich muss auch sagen, ich habe es irgendwie auch gemieden. Es ist mir wirklich schwergefallen, denn es bleibt immer noch mein Vater, auch wenn er als Conny rausgeht. Aber ich habe es dennoch getan und ich muss sagen, dass ich persönlich stolz darauf bin, es geschafft zu haben.

Aber irgendwie versuche ich auch, es zu vermeiden und mich anders bemerkbar zu machen, z.B. durch Schulterantippen oder so. Ich habe aber das Gefühl, dass immer eine gewisse Hemmschwelle bleibt. Ich toleriere Conny und akzeptiere sie langsam als Teil meines Vaters. Aber es war ein schwerer und steiniger Weg für mich. Dennoch haben wir es gemeinsam geschafft. Ich bin froh, jetzt von ihr zu wissen, da es in meinen Augen wichtig ist, die Kinder einzubeziehen. Denn sonst gibt es immer eine unsichtbare Barriere.

Fenya

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