M-Day Kapitel 5

“M” steht hier für Marina, die von ihren kleinen Schritten 2.0 berichtet:

M-Day oder manches Mal entwickeln sich die Dinge schneller als als man es selbst für möglich hält.

Kapitel 5

Februar 2013

Nachdem es mir wieder besser ging, hatte ich am 04.02. dann tatsächlich meinen ersten Arbeitstag im neuen Job. Ich habe dann sofort noch das Gespräch mit meinem Gruppenleiter nachgeholt und bei der Personalabteilung nach einem Gesprächstermin angefragt.

Am 14. 02. hatte ich das Gespräch mit der Personalabteilung und der Betriebsrätin. Es ging um das weitere Vorgehen in meiner Angelegenheit.
Das Gespräch verlief nicht so wie ich es mir dachte…

Zunächst ging der Personalchef davon aus, dass ich bereits einen Antrag auf Namens- und Personenstandänderung gestellt habe. Und dass dieser Vorgang bereits so weit fortgeschritten ist, dass diese Änderung in wenigen Wochen kommen würde. Ich musste ihm aber sagen, dass ich diesen Antrag bis jetzt noch nicht gestellt habe und dass es dann noch ca. 6-12 Monate dauern könnte, bis die gerichtliche Entscheidung kommt.

Dies machte das Ganze dann komplizierter als gedacht. Er meinte nämlich, dass ich noch warten sollte, bis die Personenstandsänderung rechtsgültig ist und dann die Firma darüber informiere. Genau so wie z.B. eine Nachnamensänderung nach einer Heirat bekannt gegeben wird. Aber so wird es nicht funktionieren.

Er erzählte mir, dass er in Vorbereitung auf dieses Gespräch selbst ein Gespräch mit unserer Geschäftsführerin geführt hat. Sie ist Amerikanerin und hat deshalb sehr strikte Vorgaben gemacht: Keine Änderung des Namens in der Firma, so lange dies nicht amtlich geschehen ist, auch keine Mitteilung vorab darüber. Und ich muss die Herren-Toilette benutzen, solange die geschlechtsangleichende Operation nicht erfolgt ist.

Das sind nun keine so guten Voraussetzungen, aber naja, so ist es eben.

Ich wendete ein, dass es doch sicherlich besser wäre, alle Kolleginnen und Kollegen vorzubereiten. Mir wurde gesagt, dass dies eine Management-Entscheidung ist und daran ist nichts zu rütteln.

Also besprachen wir, welche anderen Optionen wir haben. Wir sind überein gekommen, dass ich weiterhin die Kollegen einzeln bzw. in kleinen Gruppen persönlich informieren werde. Und zwar nur die, die in meiner Abteilung arbeiten.

Was die Toiletten-Frage angeht, so habe ich meine Bedenken geäußert, weiterhin die Herren-Toilette benutzen zu müssen. Aber eine Benutzung der Damen-Toilette ist aus Gründen der Firmen-Ethik ausgeschlossen. Aber man soll niemals nie sagen…

Auf dem Flur, in dem mein Büro liegt gibt es „nur“ 3 Frauen. Und wenn diese 3 kein Problem damit haben, dass ich „ihre“ Toilette benutze, dann könnte man eine Ausnahme machen. Man muss das ja zunächst nicht an die große Glocke hängen…

Also sieht der Plan so aus:

Ich informiere nach und nach die restlichen Kollegen. Parallel werde ich die Gespräche mit den Damen in unserem Flur führen, was die Toiletten-Frage angeht.

Sobald das geschehen ist, werde ich noch einmal ein Gespräch mit meinen unmittelbaren Vorgesetzten führen. In diesem Gespräch werden wir dann genau festlegen ab wann ich als Frau arbeiten gehen werde.

Mein Frauenname -Marina- wird bis zur Personenstandsänderung als ein interner Spitzname betrachtet und erscheint auf keinem Schriftverkehr nach außen.

Ich habe sowohl der Personalabteilung als auch dem Betriebsrat die Genehmigung gegeben, über mich zu informieren, wenn sie gefragt werden. Und die Fragen werden kommen, spätestens wenn ich irgendwann mal Mittags in der Kantine sitze. Denn der Rest der Firma wird ja erst einmal nicht offiziell informiert.

So benutze ich meine direkten Kollegen dazu, die Neuigkeit in der Firma zu verbreiten. Wer mehr wissen will kann mich ja ansprechen. Dann erkläre ich das Ganze sehr gerne.

Nach relativ kurzer Zeit wird es dann sowieso die ganze Firma wissen. Wichtig ist, dass meine Arbeit genau so weiter geht wie bisher.

Wenn ich so zeigen kann, dass sich für die Firma nichts verändert, außer dass ich als Frau lebe, dann werden wir vielleicht auch jener amerikanischen Geschäftsführerin zeigen können, dass es nicht nur Schwarz und Weiß gibt. Mein Leitspruch ist ja sowieso: Es gibt unendlich viele Grautöne zwischen Schwarz und Weiß.

Alles in allem war es doch ein sehr positives Gespräch. Es gibt nun einen Plan, der umsetzbar ist. Und mit der Umsetzung werde ich umgehend beginnen….

Gesagt, getan…. In den folgenden 2 Wochen habe ich von Büro zu Büro in unserer Abteilung vorgearbeitet und die Kollegen und Kolleginnen in Einzelgesprächen und kleinen Gruppen informiert. Immer mit meiner Bildercollage und unserem Flyer. Niemand hat damit ein Problem, im Gegenteil, man hat mir immer wieder den Respekt ausgesprochen.

Am Mittwoch den 20.02. hatte ich das Gespräch mit dem Werkstattleiter. Er ist ein noch recht junger Kollege, den ich noch als Lehrling kennengelernt hatte, als ich damals zu meinem jetzigen Arbeitgeber kam. Naja, er kannte natürlich auch all die Gerüchte über mich und war nicht überrascht. Im Gegenteil, er bezeugte mir Respekt für meinen Mut und sagte mir, dass er kein Problem hat und denkt, dass seine Leute genauso wenig ein Problem haben werden. Da er ohnehin eine große Abteilungsrunde für den Dienstag den 26.02. angesetzt hatte, meinte er, dass dies die beste Gelegenheit wäre, alle in der Werkstatt zu informieren.

In der folgenden Woche war es dann so weit. Nachdem sich alle um 13 Uhr im Konferenzraum versammelt hatten, hatte ich das erste Wort. Wie bei allen meinen bisherigen Outings in persönlichen Gesprächen habe ich mit einem Bild angefangen, einer Collage aus 4 Bildern von mir, die ich mit dem Beamer an die Wand geworfen habe.

Ich habe meine üblichen Erklärungen losgelassen und dann noch unseren Flyer mit dem Beamer gezeigt. Und auch dazu ein bisschen was erklärt. Dann habe ich noch die verschieden Fragen der Kollegen beantwortet. Auch alle diese Kollegen fanden meinen Schritt sehr mutig und gut so.

Mit dem Informieren der Werkstatt war ich dann auch komplett mit meiner Abteilung durch. Also habe ich im Anschluss gleich noch das Gespräch mit meinem Vorgesetzten gesucht, um abzustimmen, ab wann ich denn „darf“. Beide sagten, das es ihnen egal ist, und ich das selbst festlegen kann. Also sagte ich mir, wozu noch warten? Morgen geht es los!

Der M-Day war gekommen. Marinas erster Arbeitstag am Mittwoch den 27.02.2013

Der erste Arbeitstag war aber im Endeffekt auch nicht anders als alle anderen. Ich saß an meinem Schreibtisch und habe überwiegend Emails beantwortet. Mittag war ich in der Kantine…Nichts passierte, gar nichts, außer dass unsere Betriebsrätin mich beim Vorbeigehen anlächelte und mir die Schulter drückte.

Im Versand hatte mich die eine Kollegin zuerst gar nicht erkannt. Und dann sagte sie mir, dass sie es gut findet und ich so deutlich besser aussehe.

Verschiedene andere Kollegen aus anderen Abteilungen kamen im Laufe des Tages im Büro vorbei. Von allen habe ich nur wieder den Respekt ausgedrückt bekommen und dass sie es gut finden, was ich da tue.

Inzwischen ist schon die erste komplette Woche vergangen. Es hat sich kaum etwas verändert auf der Arbeit, außer dass ich mich so wohl fühle wie nie zu vor.

Manche Kollegen bemühen sich, mich konsequent Marina zu nennen. Die überwiegende Mehrheit ruft mich noch mit meinem Männernamen. Bei meiner Familie ist es im wesentlichen genauso. Naja, es ist noch ganz frisch und ich möchte auch nichts forcieren. Das wird noch kommen, da bin ich mir sicher. Jedenfalls geht es mir so gut wie noch nie.

In der Toiletten-Frage musste ich eine gewisse Niederlage hinnehmen. Eine von den drei gebürtigen Frauen im Flur hat ihr Unbehagen geäußert. Also heißt es doch die Männertoilette benutzen. Na egal, auch das kann sich ja irgendwann mal noch ändern.

Als ich mich vor 3 Jahren und 3 Monaten beim Gendertreff angemeldet habe, hatte ich schon viele Geschichten über Outings gelesen. Wie gut und einfach es im Endeffekt war. Ich habe solche Geschichten verschlungen und mir gleichzeitig gesagt, dass ich das niemals erleben werde. Dass so etwas bei mir unmöglich ist. Und nun ist es geschehen, ich habe genau das geschafft, was ich für völlig unmöglich gehalten habe.

Allen, die dies lesen, möchte ich Mut machen, niemals aufzugeben. Das Leben kann manchmal ungeahnte Wendungen nehmen. Und manchmal lösen sich auch die größten Probleme wie von selbst. Gebt nicht auf! Das Leben kann so schön sein, wenn man sich nicht unterkriegen lässt.

Liebe Grüße
Marina

TRANSITION

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M-Day Kapitel 4

“M” steht hier für Marina, die von ihren kleinen Schritten 2.0 berichtet:

M-Day oder manches Mal entwickeln sich die Dinge schneller als als man es selbst für möglich hält.

Kapitel 4

Januar 2013

Am 07.01.2013 war nun das Vorstellungsgespräch für die neue Innendienst-Stelle. Ich war als 3. von drei Bewerbern dran. Für die Firma ist natürlich noch „er“ aufgelaufen. Noch ist es nicht so weit bei mir.

Zum Gespräch waren anwesend: der Leiter Service-Support, der Gruppenleiter EU-Support, die Betriebsrätin und eine Dame aus der Personalabteilung (HR). Das Gespräch ging 45 Minuten. Ich wurde über alles mögliche ausgefragt, vor allem natürlich, warum ich aus dem Außendienst heraus will. Die Dame von HR bohrte so ein bisschen auf der Tatsache herum, dass ich ja noch nie wirklich im Innendienst gearbeitet habe. Das stimmt aber nur zum Teil. In früheren Jahren habe ich auch viel Innendienst gemacht, weil niemand außer mir bestimmte Geräte kennt. Alles in Allem glaube ich, habe ich mich ganz gut verkauft.

Eine Entscheidung steht aber noch aus, die soll aber im Laufe der Woche fallen.

Etwa 30 Minuten nach dem Gespräch klingelte mein Handy. Der Leiter Service-Support war dran und fragte mich, ob ich noch im Haus bin. Ich stand gerade in der Werkstatt und hielt ein Schwätzchen mit ein paar Kollegen. Er bat mich noch einmal in den Besprechungsraum zu kommen. Dort wurde mir gesagt, dass man sich bereits für mich entschieden hat, es gab nur noch ein paar Punkte hinsichtlich Gehalt und Firmenwagen zu klären.

Beim Vorstellungsgespräch hatte ich nämlich gesagt, dass ich nicht mehr Geld als jetzt fordere, aber mich auch nicht mit weniger als jetzt zufrieden gebe. Eine weitere Bedingung ist, dass ich den Firmenwagen behalte, denn das Auto ist ja auch ein Teil meines Gehalts. Ich habe alle meine Forderungen durchsetzen können.  Nur soll ich noch eine Weile stillschweigen bewahren, bis es offiziell bekannt gegeben wird.

14 Tage später nahm ich an einem 2-tägigen Abteilungstreffen teil. Anwesend waren alle Techniker aus dem Bezirk Mitte. Am Montag Abend, nach dem Abendessen, sind wird dann alle an der Hotelbar versumpft (wenn der Chef schon mal alles bezahlt… ).

Zu später Stunde, oder vielmehr zu früher Stunde, saß ich mit zwei Kollegen zusammen. Einer davon ist in meiner zukünftigen Abteilung, der andere ist auch Techniker im Außendienst, aber schon sehr sehr lange dabei. Da ich so nach und nach alle über meine Transidentität informieren möchte, wollte ich die Gelegenheit nutzen und den beiden Marina vorstellen. Dazu habe ich ein paar Bilder von mir gezeigt.

Der ältere Kollege meinte nur, dass er das schon seit mindestens ein paar Monaten weiß. Er, und auch alle anderen Techniker aus dem Bezirk kennen meine Bilder schon, sie kennen Gendertreff.de und wissen, dass ich Marina bin.

….Sprachlosigkeit…..Schock…..

Dann sagten mir beide, dass nicht einer meiner Kollegen irgend ein Problem damit hat. Sie waren sich nicht sicher, aber auch meine zukünftigen Vorgesetzten wissen vermutlich schon Bescheid. Aber wie gesagt, sie sind sich da nicht sicher.

Am Freitag 25.01. habe ich nun endgültig meine Vertragsänderung unterschrieben. Dazu bin ich gleich morgens in die Firma gefahren. An dem Morgen ging es mir allerdings nicht sehr gut, ich merkte schon am Abend zuvor, dass eine Erkältung im Anmarsch ist.

Unmittelbar nach der Unterschrift redete ich noch mit meinem neuen Abteilungsleiter, den ich im Übrigen auch schon 12 Jahre kenne. Neben unserem Flyer gab ich ihm noch eine Bildercollage, die ich extra dazu angefertigt habe.

Nach ein paar zusätzlichen Erklärungen meinte er nur zu mir, dass es für ihn keine Rolle spielt. Für ihn zählen nur die im Arbeitsvertrag vereinbarten Leistungen, daran werde ich gemessen. So lange ich diese erbringe, ist alles in Ordnung.

Mein künftiger unmittelbarer Vorgesetzter, der Gruppenleiter Support, war aber an dem Tag nicht im Büro. Also habe ich zunächst erst einmal alle 4 Kollegen, mit denen ich zukünftig in einem Raum sitzen werde, informiert. Wobei zwei es ja schon wussten. Die anderen beiden haben aber ganz genau so reagiert wie alle anderen Kollegen von mir: Es ist uns egal, denn du bleibst ja der selbe Mensch. Und wenn du dich wohl fühlst, dann ist es OK.

Am Freitag Abend hatte ich bereits Fieber. Deshalb bin ich noch in die Notfall-Sprechstunde meines Hausarzt gegangen. Jetzt bin ich erst einmal bis zum 01.02. krank geschrieben. Das Schlimmste habe ich aber wohl schon hinter mir, immerhin habe ich kein Fieber mehr.

Da ich nun krank bin, konnte ich heute nicht das Gespräch mit meinem Gruppenleiter führen, wie ich es ursprünglich geplant hatte. Also habe ich mein „Outing“ heute mal ausnahmsweise per Email gemacht. Ich ziehe es natürlich vor, dies persönlich in einem 4-Augen Gespräch zu tun, aber das geht halt im Moment nicht. Auf der anderen Seite wollte ich die Angelegenheit nicht zu lange liegen lassen.

Mein neuer Gruppenleiter ist Niederländer. In seiner Antwort entschuldigte er sich zuerst für das schlechte Deutsch, aber er schrieb mir klar und deutlich, dass er meinen Schritt sehr mutig findet und mich in jeder Hinsicht unterstützen wird. Wenn ich nächste Woche wieder in der Firma bin, dann werden wir noch ein persönliches Gespräch führen.

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M-Day Kapitel 3

“M” steht hier für Marina, die von ihren kleinen Schritten 2.0 berichtet:

M-Day oder manches Mal entwickeln sich die Dinge schneller als als man es selbst für möglich hält.

Kapitel 3

Dezember 2012

In den folgenden 4 Wochen bin ich nur einem Nachbar-Ehepaar begegnet, das ein paar Häuser weiter weg in der Straße wohnt, aber gute Freunde meiner Mutter sind. Sie hatten mich zuerst gar nicht erkannt. Ich habe ihnen kurz erklärt was los ist und habe noch ein Kompliment für mein Aussehen bekommen. Die beiden hatten auch nicht viel Zeit, der Hund musste Gassi gehen…

Die Nachbarn von gegenüber haben mich inzwischen bestimmt schon zig mal gesehen. Aber die schauen mich mit dem (Hinterteil) nicht mehr an, geschweige denn, dass sie grüßen. Egal, dann eben nicht…. Bee de Hänn moan (auf gut fuldisch Platt: „Wie die Herren meinen“, im Sinne von „ist mir doch egal“  )

Mitte Dezember  hat es zwei wichtige Ereignisse gegeben:

1. Ich habe mich hausintern auf eine andere Stelle beworben. In der neuen Position würde ich im Innendienst arbeiten und zwar als Supportingenieur(in) für die Gerätegruppen, die ich bisher schon im Außendienst betreut habe. Die neue Stelle wurde ziemlich überraschend ausgeschrieben, als bekannt wurde, dass die bisherige Supportabteilung von Genf hier nach Düsseldorf verlegt wird. Und das zum 01.01.13, also reichlich kurzfristig. Auf der einen Seite finde ich es grauenhaft, wie im Konzern mit Leuten umgegangen wird, denn den Schweizer Kollegen wurde am 01.12. mitgeteilt, dass am 31.12. ihr Letzter ist. Auf der anderen Seite ist es eine Chance für mich. Eine Chance dem inzwischen fast unerträglichen Druck im Außendienst zu entkommen und auch meine eigenen Wünsche zu realisieren, aber dazu mehr unter 2.

2. Ich hatte endlich das Gespräch mit Frau W. vom Betriebsrat. Bedingt durch meine Außendiensttätigkeit und Erkrankungen ihrerseits hat es erst im 6. Anlauf geklappt mit dem Gesprächstermin. Frau W. war schon vor einem ½ Jahr von meiner (inzwischen ex-)Kollegin Frau G. (in Rente) auf den/die AGG-Beauftragte(n) angesprochen worden. Diese Stelle gibt es aber in unserem Unternehmen nicht, warum auch immer… Jedenfalls fing ich unser Gespräch mit einem Bild von mir an. Sie war nicht einmal ansatzweise erstaunt, im Gegenteil, ich bekam erst mal ein Kompliment, wie gut ich aussehe. Dann sagte sie mir, dass sie sich aufgrund von Gerüchten schon einmal im Vorfeld über Crossdressing und Transvestismus im Internet erkundigt hat. Ich machte ihr dann aber erst einmal klar, dass es bei mir schon mehr als „nur“ Crossdressing ist, dass ich außerhalb der Firma und der Firmengelände meiner Kunden nur noch als Frau lebe.

Natürlich habe ich ihr erst einmal unsere beiden Flyer gegeben und meinen dgti-Ausweis. Auch habe ich ihr gesagt, dass ich seit 1½ Jahren in psychotherapeutischer Behandlung bin und aktiv hier im „Gendertreff-Vorstand“ ehrenamtlich mitarbeite. Das alles um klar zu machen, dass es mir damit sehr ernst ist.

Das ganze Gespräch ging über eine Stunde. Am Ende sagte mir Frau W., dass sie mich auf meinem weiteren Weg unterstützen wird. Am morgigen Donnerstag wird sie meinen Fall dem Betriebsrats-Gremium vorstellen. Dazu habe ich ausdrücklich meine Zustimmung gegeben. Und im neuen Jahr werden wir meinen Fall dann wohl bei der Personalabteilung vortragen. Ab dem 01.01.2013 ist unser bisheriger Betriebsratsvorsitzender der neue Personalchef, und mit dem hatte ich ja schon vor Monaten mal ein Gespräch geführt, also er weiß sowieso schon Bescheid.

Eine Woche später wurde mir mitgeteilt, dass ich am 07.01.2013 das Vorstellungsgespräch für die neue Stelle haben werde. Dazu hatte ich mehrere Gespräche mit dem Betriebsrat. Es ging um eben jenes Vorstellungsgespräch am 07.01. und wie wir am besten vorgehen werden. Jedenfalls habe ich die Unterstützung des Betriebsrats auf meinem weiteren Weg.

Unsere provisorische Betriebsratsvorsitzende bestätigte mir noch einmal, dass eigentlich schon seit langem die ganze Firma mehr oder weniger über mich Bescheid weiß, zumindest aber meine „exzentrischen“ Kleidungsvorlieben kennt. Und auch, dass ich schon das eine oder andere Mal Thema in Besprechungen der Geschäftsleitung war.

Ich habe gefragt, warum mich niemals irgendjemand angesprochen hat. Und sie sagte mir, dass sich vermutlich niemand getraut hat, etwas zu sagen.

Sie ist auch der Meinung, dass es besser ist, wenn ich in den Innendienst gehe. Leider bestehen gewissen Bedenken, dass transidente Menschen einen negativen Einfluss auf die Kundenbeziehungen haben könnten. Leider ist die Welt der Industrie in der Beziehung noch zu konservativ.

Nach Rücksprache mit dem Betriebsrat-Gremium wurde mir geraten, das Thema Transidentität aus meinem Vorstellungsgespräch herauszuhalten.

Die Weihnachtsfeiertage habe ich als Frau verbracht. Das erste Weihnachten, an dem ich nur ICH war. Kein Verstecken, kein Umziehen, nur weil Verwandte oder Bekannte zu Besuch kommen. Nur noch Marina.

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M-Day Kapitel 2

“M” steht hier für Marina, die von ihren kleinen Schritten 2.0 berichtet:

M-Day oder manches Mal entwickeln sich die Dinge schneller als als man es selbst für möglich hält.

Kapitel 2

November 2012

An meinem Geburtstag, Mittwoch der  07. November 2012, war ich auf Geschäftsreise, wie so oft. Eigentlich war es mein Fehler, dass ich da keinen Urlaub oder Ausgleich genommen habe. Und so habe ich den Abend alleine in einem langweiligen Hotelzimmer in Bad Dürkheim verbracht. Mit Langeweile und Depressionen.

Immerhin konnte ich an dem Tag so weit vorarbeiten, dass ich am Donnerstag morgen nur noch nach Hause fahren musste und somit einen ½ Tag frei hatte. Deshalb habe ich ganz spontan meine engsten Freunde zu mir zum Abendessen eingeladen. Ich habe gekocht und es wurde ein sehr schöner Abend für alle.

An diesem Wochenende dann bin ich zur Familie Heim gefahren. Mir hat allerdings die Aussicht das ganze Wochenende wieder den Sohn geben zu müssen überhaupt nicht geschmeckt. Überall sonst kann ich so sein wie ich will, nur in meinen eigenen 4 Wänden nicht? Das kann und will ich nicht mehr hinnehmen. Aber ich hatte so viel Angst davor genau das durchzuziehen. Am Freitag Abend hatte ich noch eine Sitzung bei meiner Psychotherapeutin. Das 1-stündige Gespräch hat mir aber solch eine innere Stärke gegeben, dass ich meinen Plan doch durchgezogen habe.

Als ich am Samstag morgen mit meiner Mutter wieder auf dem Weg zum einkaufen war, sagte sie mir, ich solle noch meine eine Tante mit für Sonntag einladen. Daraufhin sagte ich ihr, dass wir sie dann aber auf Marina vorbereiten sollten. Meine Mutter sagte: „Muss das sein?“ und ich sagte: „Ja, es ist schließlich meine Geburtstagsfeier“ und damit war das Thema erledigt. Meine Tante konnte aber nicht am Sonntag zum essen kommen, sie hatte schon etwas anderes vor. Also haben wir sie spontan zum Abendessen eingeladen.

An meinem Plan ihr Marina vorzustellen habe ich dennoch festgehalten. Am Abend habe ich mich dann zurecht gemacht. Als mich mein Stiefvater dann so sah hat er nur ganz kurz die Augen rollen lassen. Das war alles. Meine Tante war zuerst etwas schockiert, aber ich habe ihr erklärt was mit mir los ist. Daraufhin meinte meine Tante, dass es Ok ist wenn ich mich dabei wohl fühle, nur sollte ich mich „so“ nicht im Dorf sehen lassen…. wegen den „Leuten“….

Am Sonntag kam dann mein Bruder mit Partnerin. Wir saßen im Wintergarten, der von den Nachbarn gegenüber einsehbar ist. Passiert ist absolut nichts. Später bin ich dann noch zum Kaffee zu meinem Vater gefahren. Der weiß ja auch Bescheid und akzeptiert mich so wie ich bin.

Am darauf folgenden Donnerstag, den 15. November hatte dann meine Mutter Geburtstag. Ich bin Abends direkt von der Arbeit gekommen. Da alle Nachbarn und ihre Freunde anwesend waren musste ich wieder den lieben Sohn geben….

Am darauf folgenden Sonntag haben wir den Geburtstag meiner Mutter nach gefeiert. An ihrem eigentlichen Geburtstag letzten Donnerstag konnte mein Bruder leider aus beruflichen Gründen nicht kommen. Und so ist er eben erst heute zusammen mit seiner Partnerin deren Mutter (also die Vielleicht-Schwiegermutter) zum Mittagessen gekommen.

Ich hatte mir für das Essen schon was schönes heraus gelegt: Ein graues Strickkleid mit schwarzen Leggings. Ja, auch zu diesem Essen war Marina anwesend. Die Mutter der Partnerin meines Bruders weiß sowieso schon seit letztem Jahr Bescheid, also wozu verstecken?

Wir saßen also im Wintergarten und haben ein sehr leckeres Mittagessen verspeist (Schnitzelchen mit Spargel, Herzoginkartoffeln und Edelpilzsauce). Unser Wintergarten ist aber von unseren Nachbarn gegenüber einsehbar. Mir war jedenfalls schon letzte Woche, und heute auch aufgefallen, dass die Nachbarin immer wieder herüber geschaut hat. Und wie schon letzte Woche auch haben die mich garantiert gesehen.

Da es im Wintergarten ein bisschen eng ist mit 6 Leuten sagte meine Mutter, ich solle außen herum gehen, wenn ich mal ins Haus musste. Das bedeutet, dass mich die Nachbarin voll sehen kann. Ich fragte meine Mutter, ob sie das wirklich ernst meint und sie sagte: „Ja, inzwischen ist es mir egal“. Wow… damit hatte ich nun gar nicht gerechnet.

Später dann als sich unsere Gäste verabschiedet haben bin ich nicht mit zur Tür gegangen, aber meine Mutter sagte, ich soll ruhig kommen. „Wenn die Nachbarn was wissen wollen, dann sollen sie eben fragen“. Und so stand ich zusammen mit meiner Mutter vor der Haustür und habe unsere Gäste verabschiedet. Wow, noch so ein Hammer.

Ich hatte meine Mutter wohl auch falsch eingeschätzt. Sie weiß genau, wie wichtig mir Marina ist und sie merkt ganz genau, wie gut es mir tut. Und nun scheint sie sogar den Punkt erreicht zu haben, an dem sie sogar im Dorf zu mir steht, so wie ich bin. Ich hoffe nur, dass sie nicht wieder ihre Meinung ändert.

Beim Abendessen habe ich meine Mutter noch mal konkret darauf angesprochen, was das denn nun für mich heißt. Ob ich mich jetzt nicht jedes Mal umziehen muss kurz bevor ich ins Dorf komme. Und Ja, genau so ist es; ich kann so ein- und ausgehen wie ich will.

Ich meinte, dann sollte ich die Nachbarn aktiv ansprechen und denen erklären was los ist. Komischerweise will sie das aber nicht. Na gut, dann erkläre ich es eben, wenn ich angesprochen werde. Ist mir auch recht.

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M-Day Kapitel 1

„M“ steht hier für Marina, die von ihren kleinen Schritten 2.0 berichtet:

M-Day oder manches Mal entwickeln sich die Dinge schneller als als man es selbst für möglich hält.

Kapitel 1

Juli bis Oktober 2012

Mitte 2012 hatte ich so das Gefühl, ich habe alles das erreicht, was unter den Umständen überhaupt machbar war. Meine engste Familie wusste Bescheid, aber der weitere Kreis, also die Cousins, Cousinen und die Stiefgeschwister sollten ja nichts mitbekommen. Ebenso sah es mit den Nachbarn in meinem Heimatort aus. Meine Eltern hatten panische Angst, das irgendjemand von denen etwas merken könnte. Der gute Ruf im Dorf… usw.

Bei meinem Arbeitgeber hatte ich ja auch schon mal vorsichtig vor gefühlt. Aber schon unser Betriebsrat sagte mir, dass es auf keinen Fall gehen würde. Transident mit unmittelbarem Kundenkontakt, das geht gar nicht.

Na klar hätte ich mich nach einem anderen Job umsehen können, aber mir hat meine Arbeit immer sehr viel Freude gemacht, auch wenn es durch die viele Fahrerei und das ewige Leben aus dem Reisekoffer eine ziemliche körperliche und seelische Belastung war.

Zwar konnte ich vor und nach der Arbeit immer Marina sein, dafür saß ich aber auch so gut wie jeden Abend alleine in einem Hotelzimmer in einer fremden Stadt.

An den Wochenenden, an denen keine Veranstaltung des Gendertreff war, war ich dann immer bei meinen Eltern. Und dort musste ich mir Marina größtenteils ebenfalls verkneifen. Zum Einkaufen mit der Mutter in der Stadt, das war OK. Aber ich musste mich immer erst unterwegs umziehen, und kurz bevor wir nach Hause kamen noch einmal. Bei meiner Mutter zu Hause konnte ich mich dementsprechend auch im Haus nicht so geben wie ich es bevorzugt hätte.

Lange Zeit sah es so aus, als ob das nun auf Dauer so bleiben müsste. So musste ich mich mit dem Status Quo abfinden. Mehr Marina ging eben nicht. Zufrieden war ich damit aber nicht einmal ansatzweise. Und dass ich nicht zufrieden, bin machte ich immer deutlich.

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Es muss nicht immer ein Rock sein

Joselle auf dem Weg der Besserung:

Es muss nicht immer ein Rock sein! So lautet die Überschrift. Oder das unfreiwillige Outing vor den Nachbarn, oder es hat mich jemand gegrüßt den ich kenne, oder wie ich die Tagescreme in der Apotheke geschenkt bekam.

Doch der Reihe nach.

Es muss nicht immer Rock sein, und ich finde das schönste am Krank sein, ist doch der Weg der Besserung, so dass Joselle ab heute bis zum Wochenende präsent sein sollte. So lange sollte ich eigentlich noch im Bett liegen. Aber wie gesagt. Das Beste am Krank sein, ist der Weg der Besserung!

Heute fühle ich mich gut, und so beschloss ich mich nach dem Aufstehen zu rasieren, das Frühstück zu machen (meine Liebste muss heute früh zur Arbeit), mit meiner liebsten zu frühstücken und Joselle zum Leben erwecken.

Ich wollte mal um die Augen herum Grautöne verwenden, anstatt der braunen. Nach vier Anläufen bin ich eigentlich ganz zufrieden mit meinem Aussehen und es ging an die Auswahl der Klamotten. In viele Röcke passe ich gar nicht mehr herein (nach 12 Kilo weniger), aber eine Hose mit Gürtel und einem Pullover geht doch auch. Passende Wäsche, eine Strumpfhose muss es dennoch sein. Angezogen und passende Stiefel dazu herausgesucht. O.k. die braunen gehen doch.

Wo wollte ich noch gleich hin. Richtig, Getränke im Nachbarort einkaufen. Jacke, Schaal angezogen und die Tasche gepackt. Leergut mitgenommen und ab ins Auto. Losgefahren und so ergab es sich, dass ich auf dem Weg in den Nachbarort einer Freundin begegnete, die natürlich unser Auto kennt und von weitem schon gewunken hat. Kurz aufgeblinkt und zurück gewunken ohne darüber nachzudenken, wen oder was sie nun gesehen / erkannt hat.

Im Getränkehandel angekommen – Leergut abgegeben und die Getränke auf den Wagen geladen. Völlig unspektakulär verlief der Bezahlvorgang, auch wenn die Kassiererin mich genauer betrachtete (wir gehen dort jede Woche unsere Getränke kaufen), machte ich mir keine weiteren Gedanken und so verließ ich nach dem bezahlen das Geschäft. Ich benötige aber noch ein Nasenspray. Ab ins Einkaufszentrum. Wagen geparkt und in das Zentrum gestöckelt.

Brav in der Apotheke angestanden und gewartet bis ich dran war. Ich bestellte das Nasenspray bezahlte und die Verkäuferin sagte: „Warten Sie, da habe ich noch ein paar Pröbchen für sie“. Ich bedankte mich artig, war so stolz und steckte diese auch noch in die Handtasche.
Irgendwie verlief der Tag bis dahin super und ich fühlte mich nach Tagen wieder Pudel wohl.

So ab nach Hause, auf den Parkplatz gefahren und angefangen die Einkäufe in die Tasche zu verstauen. Ich griff nach der Tasche und einer der drei Kisten, schloss den Kofferraum (piep piep – ja unser Auto spricht mit uns) drehte mich, und mein Herz blieb beinahe stehen.
Gut es musste ja irgendwann so kommen, wenn Frau nicht nur im Dunkeln in Begleitung unterwegs sein will. Da steht die Nachbarin (kenne sie sehr gut, sind etwas älter) mit Ihrer Mutter und ich glaube deren Herz blieb ebenso beinahe stehen.
In den Augen stand: Was machen Sie mit dem Auto von der Familie W….., bis ich Ihr näher kam (sie sind auf der Treppe stehen geblieben) und ich sagte: „Nicht erschrecken ich bin es, und heute als Frau.“
Warum verkleiden Sie sich? Weil es mir Spaß macht!
Ich hörte noch ein Gemurmel, konnte aber nicht verstehen, was sie gesagt hat. Ich ging meines Weges und auf dem Weg nach oben machte ich mir eigentlich nur Gedanken darüber, wie ich diesen Bericht nennen soll.

Leider habe ich es versäumt genauer auf mich einzugehen. Denn für diesen „Notfall“ habe ich ja auch die Flyer vom Gendertreff in der Tasche. Wahrscheinlich war ich selbst von der Situation überrascht. So viele Ereignisse in knapp 90 Minuten.
Ich gebe den Nachbarn nun ein bisschen Zeit und werde mich heute Abend oder morgen früh mal bei denen melden. Ist auch nicht so ungewöhnlich, das machen wir eh mehrere Tage in der Woche (Beiratsgespräche fürs Haus).
Nun, wie oben beschrieben musste es ja irgendwann mal soweit sein. Auch wenn wir (meine Frau und ich) diesen Tag selbst bestimmen wollten, so ist es nun auch nicht schlimm. Jenen Personen denen ich bisher im Hausflur begegnet bin, haben mehrfach hingeschaut, aber nie etwas gesagt. Ich hätte aber denen auch ganz höflich erklärt um was es sich handelt.

Was für ein Beginn in den Tag….

Joselle


Update:

Ava, vielen Dank für den Link. Hier im Forum gibt es so viel zu lesen / erlernen. Jeden Tag kommt was Neues für mich hinzu.

Nun,
ich habe mir dann ein Herz gefasst und kurz bei den Nachbarn angerufen und gefragt, ob sie eine Erklärung möchten. Sie haben ja gesagt, und so bin ich drei Etagen tiefer zu den Nachbarn gegangen. Der Ehemann wusste noch nichts von unserer Begegnung und hätte ich mich nicht durch meine Stimmer verraten – er wäre wohl sehr viel später darauf gekommen 😉 .
Ich habe Ihnen meinen „Werdegang“ bis zum Outing letztes Jahr bei meiner Frau erzählt und sie haben wissbegierig zugehört und die ein oder andere Frage gestellt (OP, wie gehen Sie Montag arbeiten, usw.).
Für Sie bin ich der selbe Mensch, und sie fanden mein Aussehen ansprechend.
Dann haben wir uns noch ein wenig über das Haus und die anstehenden Renovierungen ausgetauscht und ich habe denen den Flyer überlassen.

Nun brauche ich einen neuen Flyer für die Handtasche. 😉

Liebe Grüße wünscht

Joselle

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