“M” steht hier für Marina, die von ihren kleinen Schritten 2.0 berichtet:
M-Day oder manches Mal entwickeln sich die Dinge schneller als als man es selbst für möglich hält.
Kapitel 3
Dezember 2012
In den folgenden 4 Wochen bin ich nur einem Nachbar-Ehepaar begegnet, das ein paar Häuser weiter weg in der Straße wohnt, aber gute Freunde meiner Mutter sind. Sie hatten mich zuerst gar nicht erkannt. Ich habe ihnen kurz erklärt was los ist und habe noch ein Kompliment für mein Aussehen bekommen. Die beiden hatten auch nicht viel Zeit, der Hund musste Gassi gehen…
Die Nachbarn von gegenüber haben mich inzwischen bestimmt schon zig mal gesehen. Aber die schauen mich mit dem (Hinterteil) nicht mehr an, geschweige denn, dass sie grüßen. Egal, dann eben nicht…. Bee de Hänn moan (auf gut fuldisch Platt: „Wie die Herren meinen“, im Sinne von „ist mir doch egal“ )
Mitte Dezember hat es zwei wichtige Ereignisse gegeben:
1. Ich habe mich hausintern auf eine andere Stelle beworben. In der neuen Position würde ich im Innendienst arbeiten und zwar als Supportingenieur(in) für die Gerätegruppen, die ich bisher schon im Außendienst betreut habe. Die neue Stelle wurde ziemlich überraschend ausgeschrieben, als bekannt wurde, dass die bisherige Supportabteilung von Genf hier nach Düsseldorf verlegt wird. Und das zum 01.01.13, also reichlich kurzfristig. Auf der einen Seite finde ich es grauenhaft, wie im Konzern mit Leuten umgegangen wird, denn den Schweizer Kollegen wurde am 01.12. mitgeteilt, dass am 31.12. ihr Letzter ist. Auf der anderen Seite ist es eine Chance für mich. Eine Chance dem inzwischen fast unerträglichen Druck im Außendienst zu entkommen und auch meine eigenen Wünsche zu realisieren, aber dazu mehr unter 2.
2. Ich hatte endlich das Gespräch mit Frau W. vom Betriebsrat. Bedingt durch meine Außendiensttätigkeit und Erkrankungen ihrerseits hat es erst im 6. Anlauf geklappt mit dem Gesprächstermin. Frau W. war schon vor einem ½ Jahr von meiner (inzwischen ex-)Kollegin Frau G. (in Rente) auf den/die AGG-Beauftragte(n) angesprochen worden. Diese Stelle gibt es aber in unserem Unternehmen nicht, warum auch immer… Jedenfalls fing ich unser Gespräch mit einem Bild von mir an. Sie war nicht einmal ansatzweise erstaunt, im Gegenteil, ich bekam erst mal ein Kompliment, wie gut ich aussehe. Dann sagte sie mir, dass sie sich aufgrund von Gerüchten schon einmal im Vorfeld über Crossdressing und Transvestismus im Internet erkundigt hat. Ich machte ihr dann aber erst einmal klar, dass es bei mir schon mehr als „nur“ Crossdressing ist, dass ich außerhalb der Firma und der Firmengelände meiner Kunden nur noch als Frau lebe.
Natürlich habe ich ihr erst einmal unsere beiden Flyer gegeben und meinen dgti-Ausweis. Auch habe ich ihr gesagt, dass ich seit 1½ Jahren in psychotherapeutischer Behandlung bin und aktiv hier im „Gendertreff-Vorstand“ ehrenamtlich mitarbeite. Das alles um klar zu machen, dass es mir damit sehr ernst ist.
Das ganze Gespräch ging über eine Stunde. Am Ende sagte mir Frau W., dass sie mich auf meinem weiteren Weg unterstützen wird. Am morgigen Donnerstag wird sie meinen Fall dem Betriebsrats-Gremium vorstellen. Dazu habe ich ausdrücklich meine Zustimmung gegeben. Und im neuen Jahr werden wir meinen Fall dann wohl bei der Personalabteilung vortragen. Ab dem 01.01.2013 ist unser bisheriger Betriebsratsvorsitzender der neue Personalchef, und mit dem hatte ich ja schon vor Monaten mal ein Gespräch geführt, also er weiß sowieso schon Bescheid.
Eine Woche später wurde mir mitgeteilt, dass ich am 07.01.2013 das Vorstellungsgespräch für die neue Stelle haben werde. Dazu hatte ich mehrere Gespräche mit dem Betriebsrat. Es ging um eben jenes Vorstellungsgespräch am 07.01. und wie wir am besten vorgehen werden. Jedenfalls habe ich die Unterstützung des Betriebsrats auf meinem weiteren Weg.
Unsere provisorische Betriebsratsvorsitzende bestätigte mir noch einmal, dass eigentlich schon seit langem die ganze Firma mehr oder weniger über mich Bescheid weiß, zumindest aber meine „exzentrischen“ Kleidungsvorlieben kennt. Und auch, dass ich schon das eine oder andere Mal Thema in Besprechungen der Geschäftsleitung war.
Ich habe gefragt, warum mich niemals irgendjemand angesprochen hat. Und sie sagte mir, dass sich vermutlich niemand getraut hat, etwas zu sagen.
Sie ist auch der Meinung, dass es besser ist, wenn ich in den Innendienst gehe. Leider bestehen gewissen Bedenken, dass transidente Menschen einen negativen Einfluss auf die Kundenbeziehungen haben könnten. Leider ist die Welt der Industrie in der Beziehung noch zu konservativ.
Nach Rücksprache mit dem Betriebsrat-Gremium wurde mir geraten, das Thema Transidentität aus meinem Vorstellungsgespräch herauszuhalten.
Die Weihnachtsfeiertage habe ich als Frau verbracht. Das erste Weihnachten, an dem ich nur ICH war. Kein Verstecken, kein Umziehen, nur weil Verwandte oder Bekannte zu Besuch kommen. Nur noch Marina.