Mein Weg zur (fast) vollständigen Weiblichkeit – Teil 9

Autorin: MartinaL

 

Der sechste Tag nach der OP läuft und heute Nacht hatte ich wieder ein bisschen das Höschen voll. Die sehr starken Antibiotika haben meine Körperchemie ganz schön auf links gekrempelt. Da die Gefahr besteht, dass der Ausfluss in die Scheide gerät bin ich nun auf Schonkost gesetzt und bekomme Medikamente gegen Durchfall. Antibiotika brauche ich nun nicht mehr, der Zugang kommt heute weg.

Bei der Visite kam ich mir ein kleines bisschen wie ein Ausstellungsstück vor, diesmal gleich drei Chefärzte (Dr. W., Dr. L. und Klinikchef Dr. K.) sowie eine junge Assistenzärztin und die leitende Stationsschwester. Eines habe ich sehr deutlich bemerkt, keiner wagt dem Superstar der Klinik, Dr. W. zu widersprechen, diese kleine, zierliche Person strahlt eine fast unglaubliche Kompetenz aus.
Eigentlich hätte heute der Platzhalter entfernt werden sollen, aber das wurde aufgrund des Durchfalls auf morgen verschoben. Also habe ich morgen meine „kleine Geburt“, ab da geht es aufwärts. Heute wird erst mal eine Tamponage entfernt welche außen mit einem „Nippel“ im Schambereich befestigt ist. Dr. W. erteilte mir Duscherlaubnis und das werde ich nachher ganz gepflegt ausnutzen.

Schmerzen habe ich immer noch keine, die Schmerzmittelration wurde seit heute halbiert um den Körper zu entwöhnen. Für mich war das Ganze eh eine körperliche Herausforderung da ich seit Jahren versuche auf die Erzeugnisse unserer Pharmaindustrie zu verzichten und hier werde ich fast ausschließlich chemisch ernährt. Aber ich habe zugesagt das ich den Anweisungen meiner Operateurin bedingungslos folgen werde und bisher gab es auch keinen Grund zu behaupten das da irgendwas falsch gelaufen wäre, alles tipptopp

Heute gibt es mal einen kleinen Nachtrag um eine wichtige Sache etwas zu beleuchten. Wenn ich hier schreibe das ich keine Schmerzen habe und nur relativ wenig Beschwerden dann ist das vermutlich einer Reihe von glücklichen Umständen bei mir zu verdanken. Durch meine vorherige Zimmergenossin habe ich sehr wohl mitbekommen das die ganze Sache auch sehr schmerzhaft verlaufen kann und sie hat sich immer wieder gewundert wie einfach es bei mir abgeht. Zum Einen ist mein Körper relativ „unverseucht“ und wurde die letzten Jahre auch gut gepflegt. Ich habe mir im Vorfeld ein schönes Körperertüchtigungsprogramm auferlegt und auch bei Nahrungs- und Genussmitteln starke Zurückhaltung betrieben. Weiterhin sorge ich mit einer Reihe an Nahrungsmittelergänzungen dafür weitgehend optimale Blutwerte zu erreichen.

Ein weiterer, wichtiger Punkt ist natürlich die gesamte körperliche Voraussetzung, welches bei mir nun mal auch ein rudimentär weibliches Skelett bedeutet was auch ein etwas breiteres Becken beinhaltet. Auch war vermutlich zumindest ein gewisser Rest einer Vagina vorhanden, worauf hindeutet das ich nicht allzu viel vom Platzhalter bemerke. Das soll jetzt alles als Hinweis dienen das es sich bei mir eben NICHT um eine geschlechtsangleichende Operation handelt sondern um die Rekonstruktion einer Intersex-Vagina.

Heute ist es genau eine Woche her das die (fast) letzten Reste von meinem Körper abgeschnitten wurden. Mein bisheriges Fazit: Es war der richtige Schritt in der richtigen Institution. Ich werde hier nahezu perfekt umsorgt und meine Genesung macht deutliche Fortschritte. Alle Körperwerte sind im grünen Bereich und ich fühle mich wohl. Ich warte gerade auf das ich für die kleine Geburt abgeholt werde, d.h. der Platzhalter wird entfernt und es erfolgt eine erste Reinigung (Gott sei dank, ich fange schon deutlich an zu miefen). Da ich nun 24 Stunden nach Absetzen der Antibiotika keinerlei Anzeichen von Fieber habe hat sich wohl keine Entzündung in mir ausgebreitet. Mein Verdauungssystem ist deutlich angeschlagen, aber auf dem Weg der Besserung. Langsam macht sich ein gewisses Ziepen an mehreren Stellen des OP-Gebietes breit, auch die Nähte scheinen langsam anzufangen zuzuheilen.

Bei der Visite heute früh wurde ich nur nach meinem Allgemeinzustand gefragt, den ich nur als den Umständen entsprechend sehr gut bezeichnen konnte. Die große Inspektion steht mir ja gleich bevor, und im Gegensatz zu fast allen Anderen kenne ich den gynäkologischen Stuhl dieses Hauses ja schon.

Seit einigen Tagen überrollen mich immer wieder heftige emotionale Wellen, etwas was ich Jahrzehntelang unterdrückt habe und nun zulasse. Ich liege dann einfach im Bett und lasse den Tränen freien Lauf, das ist so unglaublich befreiend……….

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