Zur Wirkung von Hormonen während der Hormontherapie

In den Diskussionen im Gendertreff-Forum sowie während unserer Selbsthilfetreffen wird immer wieder auch die Hormontherapie thematisiert. Dabei stellen wir fest, dass offenbar seitens vieler Endokrinologen – im Falle von Mann-zu-Frau-Transidenten – mit verhältnismäßig hohen Dosierungen Östrogen und Testosteronblockern gearbeitet wird.

Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf eine Hormontherapie für den Fall einer Mann-zu-Frau-Transition, da wir in Bezug auf Mann-zu-Frau-Transidentität aufgrund der bei uns dokumentierten häufigeren Fälle eine breitere Datenbasis haben. Grundsätzlich gelten die Aussagen jedoch auch für eine Frau-zu-Mann-Transition.

Offenbar ist es so, dass viele Endokrinologen die Hormontherapie einseitig auf den Hormonspiegel ausrichten und dabei nicht beachten, dass die Hormone ohne entsprechende Rezeptoren im Körper nicht die erwünschte Reaktion auslösen. Die Erfahrungen aus unserer Selbsthilfearbeit lassen sich dabei wie folgt zusammenfassen:

  • Wir beobachten, dass ohne Testosteronblocker und mit sehr kleinen Dosierungen Östrogen Depressionen ausbleiben und in allen uns bislang bekannten Fällen eine sehr nachhaltige Verweiblichung eintritt. Ob Haarwuchs, Brustaufbau, Gesichtsfeminisierung usw. – in allen uns bekannten Fällen kommt es zum gewünschten Ergebnis.
  • Andere berichten teils von nicht eintretenden Ergebnissen, nehmen aber Testosteronblocker und höhere Dosierungen Östrogen. Auf Nachfrage beziehen sie sich auf die Hormonwerte, die einer „schwangeren Frau“ entsprechen.
  • Marina bestätigt in ihrem Beitrag zum 1 x 1 der Hormone unsere Beobachtungen. Einzelne Mediziner bestätigen dies ebenfalls.

Während Marina ihren Beitrag zum 1 x 1 der Hormone eher aus einem wissenschaftlichen Blickwinkel formuliert hat, möchten wir im Folgenden versuchen, die Wirkungsweise einer Hormontherapie sehr anschaulich und umgangssprachlich verständlich zu machen.

Im menschlichen Körper gibt eine Drüse, die den Hormongehalt im Körper misst. Dabei ist es dieser Drüse völlig egal, ob Östrogen oder Testosteron vorhanden ist. Die Drüse kann nur Hormone messen, aber nicht zwischen beiden unterscheiden.

Die Drüse misst nun den Hormongehalt im Körper. Sind genug Hormone da, werden weniger Hormone durch den Körper produziert. Steigert man langsam das Östrogen, produziert der Körper weniger Testosteron, da ja genug Hormone da sind und diese Drüse wie erläutert nicht zwischen Testosteron und Östrogen unterscheiden kann.

Damit Hormone wirken können, besitzt der Körper Rezeptoren. Das sind „Andockstellen“, an denen die Hormone „andocken“. Hormone, die nicht andocken können, sind wirkungslos und werden quasi „ausgespült“.

Ein männlicher Körper hat wesentlich mehr Rezeptoren für Testosteron als für Östrogen. Blockiert man nun das Testosteron durch einen Testosteronblocker völlig, so wird kein Testosteron mehr produziert und die „Andockstellen“ für Testosteron bleiben leer. Gibt man gleichzeitig im Rahmen der Hormontherapie Östrogen hinzu, so meldet die eingangs erwähnte Drüse, dass genug Hormone vorhanden sind.

Allerdings wird das zugegebene und nun im Überfluss vorhandene Östrogen einfach ausgespült, da es nirgendwo andocken kann. Denn der männliche Körper besitzt ja gar nicht genügend Rezeptoren für das weibliche Östrogen. Dafür schadet jedoch die hohe Dosierung des Östrogens und insbesondere des Testosteronblockers der Leber und der Niere und löst auch noch Depressionen aus.

Zu allem Überfluss kann sich der Körper aufgrund der schlagartig anderen Hormonverteilung nicht anpassen. Da an den Testosteronrezeptoren kein Testosteron mehr andockt, kann eine derartige Hormontherapie dazu führen, dass der durch die Hormontherapie erwünschte Effekt entweder gar nicht eintritt oder sogar das Gegenteil bewirkt. Denn der männliche Körper reagiert, indem er die Östrogenrezeptoren abbaut.

Der vielfach zitierte „Hormonspiegel einer schwangeren Frau“ ist in diesem Fall demnach völlig nutzlos, da es gar nicht genügend Andockstellen für das reichlich vorhandene Östrogen gibt. Es schwimmt quasi vorbei, denn der „Hafen“ mit den „Andockstellen“ ist ja schon komplett belegt.

Verwendet man dagegen lediglich kleine Dosierungen Östrogen, so erfolgt eine körperverträgliche Anpassung in kleinen Schritten. Der Körper passt sich mit einem langsamen Aufbau von Östrogenrezeptoren an, während er die Testosteronrezeptoren langsam zurückbaut. Da keine plötzliche Umstellung stattfindet, verträgt der Körper diese Therapie wesentlich besser und auch Depressionen bleiben aus.

Da der Körper Zeit hat, sich an diese Situation anzupassen, tritt der gewünschte Effekt zwar in sehr kleinen Schritten, dafür aber in allen uns bislang bekannten Fällen ein. Dabei haben wir festgestellt, dass die gewünschte „Verweiblichung“ sehr nachhaltig eintritt. Wir haben empirisch beobachten können, dass

  • es zu einem nachhaltigen Brustaufbau kommt,
  • eine Feminisierung des Gesichts und der Körperproportionen eintritt,
  • die Körperbehaarung sich hin zu einer unsichtbaren, weiblichen Behaarung verändert und
  • der Haarwuchs auf dem Kopf vielfach stark zunahm – zum Teil sogar so weit, dass selbst Personen mit ursprünglicher Halbglatze nach mehreren Monaten Hormontherapie nicht mehr auf das Tragen einer Perücke angewiesen sind.

Bei der klassischen Therapie besteht dagegen neben den gesundheitlichen Risiken das Risiko des „Hopp oder Topp“: Der Effekt tritt entweder ein oder aber eben auch nicht.

Hinweis: Wir sind keine Mediziner und können auch den ärztlichen Rat nicht ersetzen. Wir stützen uns in unseren Beobachtungen jedoch auf die Begleitung transidenter Menschen während unserer Selbsthilfearbeit, die wir seit 2004 betreiben. Die eigene Gesundheit sollte jeder Person, die eine Hormontherapie in Erwägung zieht, ein kritisches Hinterfragen von möglichen Therapiealternativen wert sein.

Natürlich wissen wir, dass es auch Fälle gibt, in denen eine Hormontherapie mit hohen Östrogendosierungen und der Verwendung von Testosteronblockern zum gewünschten Ergebnis geführt hat. Die möglichen Risiken überwiegen jedoch aus unserer Sicht. Anschaulich: Ein 90-jähriger Raucher ist schließlich auch kein Beweis dafür, dass Rauchen die Gesundheit nicht beeinträchtigt.