Aber was bedeutet das?
So trifft das Selbstbestimmungsrecht (SBGG) keine Regelungen zu körpermodifizierenden Maßnahmen, sondern erleichtert lediglich die Namens- und Personenstandsänderung.
Das bedeutet was genau für den Einzelnen?
Die ICD-11 hat die F66-Diagnosen und die Diagnose „Transsexualität“ entfernt, was einen wichtigen Schritt zur Entpathologisierung1 darstellt. Geschlechterinkongruenz wird nun in einem separaten Kapitel unter „Zustände mit Bezug zu sexueller Gesundheit“ aufgeführt und nicht mehr als psychische Störung klassifiziert. Die Entpathologisierung der Geschlechterinkongruenz in der Medizin wurde höchste Zeit, Barrieren in der Gesundheitsversorgung sind aber trotzdem noch zu überwinden. Aber noch immer nicht ist die deutsche Version der ICD-11 verbindlich verabschiedet.
Bei der Inkongruenz2 handelt es sich um einen „gesundheitsrelevanten Zustand“ und ist definiert als eine ausgeprägte und persistierende Diskrepanz zwischen dem empfundenen Geschlecht und dem zugewiesenen Geschlecht. Eine Dysphorie3 ist nicht zwingend erforderlich, denn eine Indikation für körpermodifizierende Maßnahmen soll nach ICD-11 auch geprüft werden, wenn angenommen wird, dass es ohne diese Interventionen zu einem starken Leidensdruck kommt.
Nach repräsentativen Umfragen geben 2,5–8,4 % der Jugendlichen an, transident oder nonbinär zu sein, bei den Erwachsenen sind es 0,3–4,5 %. Sowohl bei Jugendlichen als auch bei Erwachsenen stiegen die Behandlungszahlen in den letzten Jahren an. Laut einer Studie von Versichertendaten wurde zwischen 2014 und 2019 mehr als eine Verdreifachung der Hormonbehandlungen in beiden Altersgruppen errechnet. Die Inanspruchnahme geschlechtsangleichender Maßnahmen stieg noch stärker an.
Trans* zu sein ist dennoch kein Trend oder eine Modeerscheinung, denn es gibt keine Zunahme von Personen mit Geschlechterinkongruenz. Lediglich die Sichtbarkeit von trans*- Personen und die Inanspruchnahme des Hilfesystems ist gestiegen. Jüngere Generationen leben ihre Transidentität früher aus als Ältere und nehmen viel früher Hilfe in Anspruch. Es sollten auch keineswegs alle Menschen mit Geschlechterinkongruenz geschlechtsangleichend behandelt werden. Weiterhin gilt die Leitlinienempfehlung einer differenzierten Einzelfallentscheidung unter umfassender Beteiligung von Fachpersonen.
Dies zeigt, dass die ICD-11 wichtige Fortschritte in der Entpathologisierung und im Umgang mit Geschlechterinkongruenz gemacht hat, aber auch, dass weiterhin Herausforderungen in der Gesundheitsversorgung bestehen.
Rechtlich ist das soweit auch alles in Ordnung. Aber Medizinisch muss dringend noch nachgebessert werden. Es kann nicht sein, dass ein trans*- Mensch nach der Diagnose „Geschlechtsdysphorie“ im Einzelnen dafür kämpfen muss seine Geschlechtsangleichende Maßnahmen bei den Krankenkassen zu bekommen. Man stelle sich vor, dass bei einem körperlichen Leiden und einer bevorstehenden Operation erst mit der Krankenkasse um die Gelder gerungen werden muss. Bei einer Geschlechtsangleichenden Maßnahme kann sich das um Jahre hinziehen und sogar beim Sozialgericht enden. Bis dahin entstehen den Krankenkassen mehr Kosten z.B. für psychologische Behandlungen, Gerichtskosten, etc. und ein eventueller Suizid ist vorprogrammiert.
1 Entpathologisierung:
Entpathologisierung bezeichnet den Prozess, bei dem bestimmte Verhaltensweisen, Identitäten oder Zustände nicht mehr als krankhaft oder abnorm betrachtet werden.
2 Geschlechtsinkongruenz:
Geschlechtsinkongruenz beschreibt die fehlende Übereinstimmung zwischen dem Zuweisungsgeschlecht und der Geschlechtsidentität.
3 Geschlechtsdysphorie:
Geschlechtsdysphorie ist das Leiden an der Inkongruenz zwischen den körperlichen Geschlechtsmerkmalen und der Geschlechtsidentität.